unplugged.at: text #66 / martin krusche / portraits

(Handwerk, Österreich, Steiermark, Bezirk Weiz, Gleisdorf)

• Portrait: Bärbl Pressl / Glasermeisterin
Von Martin Krusche

Der Schritt in die Pension ist Anlaß, aber nicht Grund gewesen, das Geschäft zu schließen. Da ist offenbar eine Ära zu Ende. (Darüber spricht sie keineswegs wehmütig.) Jene Ära, in der aus Dörfern Städte wurden. In der sich eine Mittelschicht entwickelt und etabliert hat, welche heute als Fundament westlicher Demokratien gilt.

Davon handelt Pressls Familiengeschichte vom Großvater her. Wie sich das Leben ständig ändert, tut es eben auch die Wirtschaft. Dabei hat die Frau keine Lust, sich in der Konkurrenz zu großen Ketten nach unten lizitieren lassen. Bezüglich der Qualität ihrer Waren, aber auch betreffend Sachkenntnis im Metier.

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„Wer bildet heute noch Lehrlinge aus?“ fragt sie rhetorisch. Den allgemeinen und wachsenden Verlust von handwerklichen Kompetenzen und jenen Fertigkeiten, die sich nur aus Kontinuität herleiten lassen, bedauert sie zwar, weiß aber anzudeuten, daß solche Vorteile eben einen darstellbaren Preis haben. Unter dem dann eben nur der Diskonter bleibt. „Versuchen Sie da einmal eine neu Gummidichtung für ihre Espressokanne zu bekommen.“ Alles klar? Früher hieß das: „Wenn du es nirgends bekommst, der Lenz hat es.“ Eine „Spicknadel“? Ein Docht für die Petroleumlampe?

Pressl sagt unmißverständlich: „Ein Geschäft ist kein Spaß. Aber es kann Freude machen.“ Die Firmengeschichte umfaßt das Leben von drei Generationen. Pressls Großvater, Josef Lenz, war der Sohn eines Großbauern gewesen. Er verkörpert geradezu exemplarisch den Ausgang aus der agrarischen Welt. Lenz hatte sich in Graz eine umfassende handwerkliche Ausbildung erworben und nach dem Ersten Weltkrieg eine Postmeisters-Tochter geheiratet. Die zwei bauten im Kurbetrieb von Bad Gleichenberg ein Glasgeschäft auf. Böhmen war damals ein wesentliches Ursprungsland feiner Waren. (Dieses Geschäft besteht heute noch.)

Lenz befand Gleisdorf als interessanten Standort, übernahm 1922 die Firma Karl Hahn im ehemaligen Postamt, am Hauptplatz 15. Geschirr, Glas, Bilderrahmen und Glasschleiferei. Da er mit seiner Frau drei Töchter hatte, eine davon Pressls Mutter, baute er in der Fritz Huber-Gasse ein Wohnhaus. Diese örtliche Trennung von Arbeits- und Lebensbereich war zu der Zeit keineswegs selbstverständlich.

Es wurde von den Töchtern selbstredend erwartet, daß sie nicht nur häusliche Vorzüge zeigen, sondern auch in der Berufsswelt bestehen. „Wir haben immer mitgearbeitet.“ Bärbl Pressl macht die Matura, die HAK, lernte aber auch das Handwerk. „Glas ist sehr schwer. Das ist eine anstrengende Arbeit.“ Die Glasermeisterin übernahm den Betrieb Anfang der 1980er-Jahre. „Es hat bei uns mit guter Ware angefangen und ist ins Exklusive gegangen.“ Dazu fuhr Pressl früher zweimal jährlich auf Messen. Um möglichst vorausschauend zu ordern. „Die Frage ist, was würde jemand suchen, wenn es angeboten wäre.“

Mit „ein ordentlicher Betrieb“ meint Pressl das gut ausgebildetes Personal, eine qualifizierte Geschäftsführung und Qualität über dem Durchschnitt: „Nicht abgehoben, aber auch keine Schleuderware.“ Profunde Lagerkenntnis. Aber das liegt nun hinter ihr. Für die andere Seite gilt: „Man muß die Qualität verwenden. Nicht kaufen und in den Schrank stellen. Da hat man nichts davon.“ Man müsse bereit sein, die Erfahrung zu machen, meint sie, wie beim guten Wein. Das könne man nicht per Erzählung vermitteln.

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22•06