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(Verkehr, Automobil, Muscle Cars)

• Feature: „Muscle Cars“ / Der Traum vom edlen Barbaren (Eine kleine Übersicht)
Von Martin Krusche

Na freilich! Sie sind für das Leben so notwendig wie ein Brillantring. Wer ökologisch oder sozial gegen sie argumentiert, kann nicht widerlegt werden. Und daß man Muscle Cars als „Ego-Booster“ interpretieren darf, ist kaum von der Hand zu weisen. Jenseits all der plausiblen Einwände tut sich ein weites Feld der Emotionen auf. Da wiegen rationale Gründe wenig. Es geht um lackierte Juwelen, die mit technischen Raffinessen vollgepackt sind. Raser aller Altersklassen würden billigere Ware bevorzugen. In der Muscle Car-Liga zählen Stilfragen, „Stammbaum“ und die Hintergrundgeschichten. Die Rede ist von einem halben Jahrhundert besonderer Nischen der Alltagsgeschichte.

Sagt man „muskulöses Auto“, betrifft das heute meistens einen giftigen kleinen Japaner, der mit großen Plastikteilen beklebt wurde, um gefährlicher auszusehen. „Muscle Cars“ sind was völlig anderes. Motorkraft wie ein Ozeandampfer, Fahrwerk zum Fürchten, ein Drehmoment, das einem sein Frühstück aus dem Gesicht hauen kann. In Summe ungefähr das, worüber Rally-Legende Walter Röhrl sagen würde: „Da beginnt der Ernst des Lebens.“

Wollten junge Amerikaner in den 1960er-Jahren sehr schnelle Autos fahren, waren ihnen die Corvette oder der Thunderbird viel zu teuer. Unerschwinglich. In dieser Ära hatten ein paar launige Journalisten die Idee, man könnte den überragenden Ferrari 250 GTO mit einem aufgebrezelten Biedermann herbrennen.

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Das erste offizielle Muscle Car der Automobilgeschichte, den Pontiac GTO, finden Sie heute für 1,80 Euro im Spielzeuggeschäft Ihres Vertrauens. Die ganze Sache war damals an ein genialer Marketing-Coup unter Beteiligung von John DeLorean.

Sie fanden heraus, daß der Ferrari natürlich auf dem Rundkurs nicht zu schlagen ist. Aber auf der Straße konnte man ihn mit einem getunten Pontiac Tempest verblasen. Daraus erwuchs, unter maßgeblicher Mitwirkung von John DeLorean (Jaja, „Zurück in die Zukunft“), die „Mutter aller Muscle Cars“, der Pontiac GTO.

Es war die Zeit, als Lee Iacocca der Automobilwelt mit dem Ford Mustang seinen Stempel aufgedrückt hat. Man konnte die Basismodelle je nach Geldbörse ganz geschmeidig schneller machen. Kaum Grenzen nach oben. Die Hersteller begannen ein fröhliches Wettrüsten an preiswerten, nicht zu großen Autos. Geräumiger als zweisitzige Sportwagen, kleiner als „Fullsizer“.

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Legitimer Muscle-Car-Nachfahre aus dem Stammhaus Pontiac:
1979er „Trans Am“ als Fund im Gleisdorfer GEZ.

Das Glaubensbekenntnis lautete: „Hubraum ist durch nichts zu ersetzen.“ Was zu derart furchterregenden Maschinen wie dem „Road Runner Superbird“ oder dem „Daytona Charger“ führte. Da stand im Typenschein: „Besser vorwärts fahren als rückwärts einparken“.

Explodierende Versicherungsprämien und der Ölpreisschock von 1973 kippten den Trend. So hart war kaum ein Bursche, daß er diese Preiskeulen ausgehalten hätte. Aber weder sind die Legenden verklungen, noch die Bilder verschwunden.

Das alte Lied erzählt heute noch, was den Kern der Muscle Car-Verehrung ausmacht. Vor fast 40 Jahren klang es so: „Man erwartet ja, daß die Beschleunigung im ersten und zweiten Gang spektakulär ist. Aber niemand von uns war darauf vorbereitet, daß man bei 130 Sachen so brutal in den Sitz gedrückt wird, wenn man in die Vierte schaltet.“

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Im Juli 2002 verkündete das Journal „Chrom & Flammen“: „Der GTO kommt zurück.“ Naja, solche Wiedererweckungen sind mit Skepsis zu betrachten. Straßenfahrzeuge mit bis zu 500 PS sind heute nicht unbedingt eine Seltenheit. Doch sie werden vor allem im Hochglanz-Segment gepflegt. Was Muscle Cars von ihnen unerscheidet, ist ein deutlicher Trash-Faktor. Man ist gefälligst nicht vornehm. / Seite [zwei]

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