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(Handwerk, Österreich, Steiermark, Bezirk Weiz, Gleisdorf)

• Portrait: Hermann Lueger / Schuhmacher
Von Martin Krusche

Eigentlich wollte er Maler werden. Aber es war Ende der 1970ern nicht mehr selbstverständlich, daß man zu seinem Wunschberuf auch eine Lehrstelle findet. „Es waren die kinderreichen Jahre“, sagt der „Bauernbua“. Also wurde er Schuhmacher. Lueger sah es als Glück, „daß ich einen jungen Lehrmeister gehabt hab. Der hat einen viel probieren lassen.“ Bald schien ihm klar, „in eingefahrenen Bahnen bleiben, das funktioniert nicht.“

Rückblickend sagt der Handwerker: „Als Angestellter warst du eher schlechter dran, hast weniger verdient.“ Lueger bestaunt, daß das heute nicht mehr ernst genommen würde. „Wenn du was kannst, brauchst du dir keine Sorgen machen.“ Aber es gibt immer weniger Betriebe, die noch Lehrlinge ausbilden. Und so, „das geht dann sehr schnell, in wenigen Jahren“, verschwindet die Fertigkeit, das Wissen, wie man die Dinge macht.

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Die Eltern haben ihm damals den Lehrabschluß abverlangt, „nachher kann ich tun was ich will.“ So hält er es auch mit seinen eigenen Kindern. „Die müssen was fertig machen.“ Mit dem Gesellenbrief hat er dann „alles hingeschmissen“, um einige Jahre auf „die Walz“ zu gehen. Wanderjahre. „Hab was anderes sehen wollen und einmal von daheim wegkommen.“

Früher sei das sowieso üblich gewesen, erzählt er. Daß man beispielsweise als „Störschuster“ unterwegs sei und bei den Bauern Schuhe mache. „Die Stör“ ist eine Art Wanderschaft, auf der man nicht in der eigenen Werkstatt, sondern auf dem Hof der Kundschaft arbeitet. „Man hat seinerzeit ja zwei Berufe gehabt“, sagt Lueger. „Ich kenn’ noch einen alten Mann, der hat im Winter als Schuster gearbeitet und im Sommer als Zimmerer.“

Längst gibt es im „Schuhinstandsetzungsgewerbe“ auch angelernte Kräfte in kleinen Servicestellen. „Das war eh ein Österreicher, der das in Amerika groß gemacht hat, von dort ist es zu uns zurückgekommen.“ Er sieht das nicht als ernsthafte Konkurrenz, obwohl solche Schnellservice-Buden inzwischen sehr verbreitet sind.

Wenn Lueger sagt „gelernt ist gelernt“, meint er damit ein Detailwissen und Fähigkeiten, mit denen er einen Schuh von Null auf, also vom nackten Fuß weg, fertigen kann. „Wenn der Leisten paßt, paßt auch der Schuh.“ Der Holzleisten wird als Rohling geliefert. Eine Art grobes Modell der Füße. Erfahrene Schuster wissen nun genau, an welchen Punkten sie von den Füßen der Kundschaft Maße abnehmen müssen, um sie auf den Leisten zu übertragen und so ein genaues Abbild der Fußform zu schaffen. Danach wird aus den verschiedenen Materialien der Schuh gefertigt.

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Lueger: „Wenn der Leisten paßt, paßt auch der Schuh.“

Allerhand mögliche Fehlhaltungen und Eigenarten beim Gehen bilden sich an den Füßen ab. „An den Fußsohlen der Menschen kann ich vieles sehn.“ Wo und wie sich Hornhaut bildet, läßt Rückschlüsse auf die Befindlichkeit eines Menschen zu. „Das kann ich dann am Schuh ein bißl ausgleichen.“ Zu modischen Dingen wie „High Heels“ macht er bloß eine wegwerfende Geste. „Da kann ich mir auch mit einem Messer in die Fußsohle stechen.“

Was der Pfuscher oder die ungelernte Kraft eben nicht vermag, so Lueger, ist die schlüssige Deutung der verschiedenen Stellen, „wo und wie der Schuh abgetreten ist“, um das in er Bearbeitung auszugleichen. „Da hat freilich jeder Schuster seine eigene Philosophie.“ Wenn man mehrere Paare Schuhe besitzt, seien darunter manche, die man dauernd und gerne trage, andere stünden nur herum. „Da paßt’s halt nicht“, meint Lueger, da sei diese Bequemlichkeit im Detail nicht gegeben.

Die Schusterwerkstatt in der Bürgergasse besteht erst seit 1995. „Da war vorher eine Bäckerei.“ In den letzten zehn Jahren habe sich die ganze Situation stark geändert. Ursprünglich war Italien der Schuhproduzent Nummer eins. Nun hat China alles überboten. Vor allem im Bereich billiger Ware.

„Da ist halt viel Kunststoff im Spiel. Eh klar. Da kannst du von riesigen Häute arbeiten und hast keinen Verschnitt.“ Heute falle es auch ihm oft schon schwer, sagt Lueger, Kunstleder von echtem zu unterscheiden, für Laien sei das kaum möglich. Aber: „Die Feuerzeugprobe hilft immer“, sagt er. „Kunststoff hat sofort ein Loch.“ Das empfiehlt er, verschmitzt lächelnd, als verlässliches Prüfverfahren, falls einem Ware, auch Jacken und Mäntel, als „echt Leder“ angepriesen werden, obwohl sie einem suspekt erscheinen.

„Wir haben uns alle umstellen müssen“, meint Lueger, „mit der Billigware fang ich gar nicht erst an.“ Das überläßt er den Märkten, die ohne Fachpersonal auskommen. Masse und breite Auswahl, so könne man in einem kleinen Laden ja kein Geschäft machen. Also setzt er auf Qualität und Bequemlichkeit. „Über Wohlfühlen und Service“ könne er die Kundschaft gewinnen. „So haben wir auch die Firmen gestärkt, die Qualitätswaren produzieren“, und geholfen, deren Verschwinden zu verhindern. „Die haben sich natürlich auch umstellen müssen.“

Lueger nennt eine bemerkenswerten Zusammenhang, durch den diese Entwicklung gestärkt wurde: „Die Plateauschuhe.“ Wie das kam? „Die Plateaumode war ja nur für einige Zeit gedacht. Als Mode. Aber die Jugend hat dran festgehalten. Da haben sich dann manche Weiberl gesagt: Wenn die Jungen so schiache und moderne Schuhe anziehen, kann ich auch die breiten Gesundheitsschuhe tragen. So hat’s moderne Schuhe gegeben, in denen genug Platz für die Zehen ist.“ Die klobigen Plateausohlen sind bis heute nicht vom Markt verschwunden. Bei ihrer Anhängerschaft heißt es, man ginge darauf „wie auf Wolken“.

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