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(Kommunales, Rotes Kreuz, Bezirk Weiz, Gleisdorf)

• Reportage: Frühstück beim Roten Kreuz
Von Martin Krusche

Der Gemeinschaftsraum ist sehr einladend und wohnlich. Helmut Gschanes erläutert: „Das Haus ist Tag und Nacht besetzt. Jeder, der Dienst hat, ist an der Dienststelle. Es gibt keinen Dienst von zuhause aus.“ Da läuft nicht einmal mehr viel über Sprechfunk. Es gibt Daten-Terminals in den Fahrzeugen.

Die Bezirksstelle in Weiz koordiniert die Einsätze. Aber das Telefon kommt immer wieder ins Spiel. Gleisdorf hat vier hauptamtliche Leute und einen Profi in Sinabelkirchen. Die gesamte Situation wird durch rund hundert Freiwillige verstärkt. Das Frühstück läßt diesmal nichts zu wünschen übrig. Der Tisch ist nicht jeden Samstag so reichlich gedeckt, verrät Erika Seidl.

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Von links: Erika Seidl, Helmut Gschanes, Georg Hirschmann und Eva Kober

Gschanes sagt: „Weil nicht immer die Zeit dazu ist“; die auch diesmal knapp wird. In den Morgenstunden mußte eine Besatzung raus, weil es Blechsalat gegeben hat. „Schön kalt ist es auf der Autobahn“, wird Profifahrer Andreas Hofer später sagen und sich schütteln. „Es ist spiegelglatt.“ (Drei Autos kollidiert, Federbein ausgezupft, Lastwagen aufgefahren ...) Der Winterbeginn. Hofer: „Das kann mir passieren, das kann jedem passieren.“ Man hat trockene Fahrbahn und dann, unerwartet, so eine Eisfläche und keine Chance, heil davon zu kommen. „Die Frau war total geschockt, als wir sie aus dem Auto geholt haben.“

Georg Hirschmann meint: „Die Gründe, warum was passiert, darüber richten andere, nicht wir.“ Eva Kober, Leiterin der „K-Gruppe“, welche im Katastrophenfall zum Einsatz kommt, betont auf meine Frage nach den Einschätzungen im Fall des Falles: „Wir sehen nicht die Situation, sondern zuerst den Menschen.“ Da wird man nicht zynisch, sagt sie, man sei darauf konzentriert, die nötige Hilfe zu leisten.

Das aktuelle „Mission Statement“ der Helfer lautet: „Menschliches Leiden durch die Kraft der Menschheit lindern.“ Ein altes kulturelles Prinzip, den leidenden Menschen nicht aus den Augen zu verlieren. Nichts hat die Menschheit über die Jahrhunderte so bewegt, wie die Furcht vor Verletzung und Krankheit. Diese Themen waren über ungezählte Generationen der Hauptgegenstand von Volksfrömmigkeit, wie man auch heute noch an alten Devotionalien ablesen kann.

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Erika Seidl (neben Helmut Gschanes): „Ich bin 30 Jahre dabei. Da war es oft,
daß ich dachte, wenn ich meine Kollegen nicht dabei hätte ...“

Kameradschaftlichkeit ist das Um und Auf, wird mir erklärt. Seidl, die seit 30 Jahren dabei ist, erinnert sich: „Mein Mann wurde vor dem Haus von einem Betrunkenen umgefahren und ich konnte ihm nicht mehr helfen. Da dachte ich, ich fahr nie mehr mit. Aber man darf sich nicht abkapseln. Nach acht Wochen war ich wieder im Einsatz.“ Ohne ihre Kollegen könne sie nicht sein, sagt sie. Bald darauf gab es einen Unfall beim Bahnhof, es war kein Hubschrauber verfügbar, Seidl schwor sich: „Den muß ich lebend reinbringen.“ Der schwer verletze Mann habe während der ganzen Fahrt ihre Hand gehalten und ihr, so empfand sie es, fast die Finger gebrochen. Er hat überlebt.

Wenn man an etwas schwer trägt, muß man sich gleich darum kümmern, sind sich alle einig. Claudia Wiener: „Wir haben Begleiter, erfahrene Sanitäter, die einem helfen.“ Gschanes: „Wenn man aus dem Dienst geht, sollte das so weit aufgearbeitet sein, daß man draußen frei ist.“ Kober: „Die Gemeinschaft ist wichtig, daß man es intern mit einander verarbeiten kann.“ Hirschmann: „Darüber reden, das ist wichtig.“ Gschanes: „Und wenn was Größeres passiert ist, gibt es gründliche Nachbesprechungen.“

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Andreas Hofer (neben Claudia Wiener) ist nichts Merkwürdiges fremd:
„Das kann mir passieren, das kann jedem passieren.“

Der Tisch ist immer noch gut mit Köstlichkeiten versehen, schon kommt ein neuer Notruf herein. Hofer vom Telefon her: „Da hat sich einer erschossen.“ Die neblingen Monate, da seien die Menschen besonders gefährdet, höre ich. Wieder fährt eine Besatzung hinaus. Seidl: „Von einer Minute auf die nächste hast du noch gelacht und dann kommt es ganz anders.“

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