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(Dienstleistung, Österreich, Steiermark, Bezirk Weiz, Gleisdorf)

• Portrait: Wolfgang Seereiter / "Weltladen"
Von Martin Krusche

Er ist Volksschullehrer in Wetzawinkel. Seereiter wuchs in Graz auf. An seiner Kindheit hält er für markant, daß er in der Nachbarschaft von Studenten aus vielen Ländern gewohnt hat. Verschiedene Sprachen, Gesichter, Gewohnheiten. Ende der 1970er-Jahre zog er in die Oststeiermark.

„Es hat mich seit meiner Jugend stark die Erfahrung geprägt, daß man gemeinsam etwas erreichen kann.“ Für den Vater von fünf Kindern ist das kein Theoriethema, sondern eine Praxisfrage. „Mit so vielen Kindern ist man ja heute nicht gerade eine Durchschnittsfamilie.“ Er sagt: „Ich bin überzeugt, daß man was Sinnvolles tun kann. Nicht die großen Strukturen verändern, sondern da, wo man lebt, winzige Teilchen bewegen.“

Seereiter hat als Lehrer natürlich Einblicke in das Leben der Menschen, kommt mit vielen Familiengeschichten in Berührung. Dazu sagt er: „Die Schere geht auseinander.“ Materielle Probleme nehmen allgemein zu, Belastungen steigen. Die Folge: „Eltern achten heute viel mehr auf ihr Kind als Einzelwesen.“ Und: „Jeder will sich für den nahenden Kampf im Erwerbsleben rüsten.“ Das würde eine Entsolidarisierung der Gesellschaft fördern. Gerade in Zeiten, wo sich der Staat aus vielen Aufgaben zurückzieht, die nun von Privatpersonen übernommen werden müßten.

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Damit ist Seereiter beim Thema sozialer Gerechtigkeit. So hat er sich als Vereinsobmann dafür stark gemacht, daß es in Gleisdorf einen „Weltladen“ gibt, der sein Warenangebot nach den Prinzipien des fairen Handels zur Verfügung stellt. Das meint nicht bloß eine hohe Qualität der vorrätigen Dinge, sondern vor allem auch einen fairen Preis für jene, von denen die Güter stammen. Denn wo Geiz als geil gilt, ist das längst nicht selbstverständlich. Da entsteht häufig aus dem Profit des Einen die Not des Anderen.

Der „Weltladen“ funktioniert, „weil sich hier Menschen engagieren und zusammenarbeiten.“ Dazu gehört auch ehrenamtlicher Einsatz. Wer denkt, das sei unwirtschaftlich, übersieht völlig, daß zu einer gedeihlichen Wirtschaft auch soziales Kapital gehört. Seereiter: „Das ist ein Wertzuwachs an Lebensqualität.“ Was verlangt, „über die Kirchturmspitze hinauszuschauen.“ Europa hat „im Kontakt mit den Menschen aus dem Süden“ sich über Jahrhunderte große Vorteile herausgerissen. „Europa profitiert immer noch von ungerechten Handelsbeziehungen. Ich bin durch meine Vorfahren und durch meine Gegenwart in diese dramatischen Entwicklungen verstrickt.“

Seereiter vesrteht den „Weltladen“ als „Lernfeld für soziale Beziehungen, wo Aufgabenteilung und Verbindlichkeit geübt werden.“ Daß man also „Verpflichtungen übernimmt und dafür einsteht“. So gesehen eine neue Geschäftsidee im alten Stadtzentrum, das viele seiner ursprünglichen Aufgaben an neue Geschäftszentren abgeben mußte. „Wir sind damit auch Teil der Solidarregion Weiz“. Inzwischen wurde Gleisdorf überdies die erste Gemeinde der Steiermark, welche 25 Prozent des kommunalen Beschaffungswesens aus fairem Handel bezieht.

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