(Literatur, Bosnien, Balkan, Steiermark, Graz)
Reportage: Platon war ein
Balkaneser" (Gespräch mit Dzevad Karahasan)
Von Martin Krusche
Ein Mann, der sich beim
Sprechen Zeit läßt. Beim Erzählen erst recht. So erlebt man Devad Karahasan in
der direkten Begegnung, das prägt auch seine Texte. Wobei selbst Romane, wie
Sara und Serafina, sich als komplex verwobene Kompositionen von Geschichten
und Geschichte erweisen. Arabesken.
Ornamente, die aus einer riesengroßen Zahl von sich
immer wiederholenden Figuren bestehen, wie er sagt. So deutet er das
Gesellschaftsmodell islamischer Kulturen, denen er sich zurechnet. Der Bosnier, ein
Moslem, mit Koran und Aristoteles gleichermaßen gut vertraut, sagt selbstironisch:
Ich bin ein Balkaneser. Das spielt auf Ressentiments an, mit denen er lebt.
Das handelt aber auch von einem erheblichen
Selbstbewußtsein als Europäer. Seine Kenntnisse, sein Denken und sein Schreiben
verzweigen sich stets quer durch die Geschichte dieses Europas, genauer: Mitteleuropas,
und durch dessen kontrastreiche Kulturräume. Vielleicht auch, weil man aus den Zentren
her oft jene als Barbaren vorführte, die angeblich keine
Geschichte haben, was vor allem meint: kein Wissen um die eigene Geschichte.
Da blitzt etwas in seinen Augen, wenn er als Slawe in der
Diaspora, der Sarajevo nicht freiwillig verlassen hat, mit den Stereotypen-Angeboten des
Westens spielt. Als erfahrener Dialektiker scheint er Spaß daran zu finden,
wenn er sein Gegenüber in dessen eigene Vorurteile verwickeln kann. Das bürdet er auch
den Helden seiner Texte auf. Verwicklungen, wie in griechischen Tragödien. Da mögen
Handelnde in seinem neuen Buch Berichte aus der dunklen Welt (siehe Kasten) zu
dem Schluss kommen, dass sogar Hass akzeptabel, menschlich und gut sei; gegenüber der
Gleichgültigkeit.
In seinem Tagebuch der Aussiedlung
(1993), verfasst unter dem Eindruck des Krieges, liest sich das so: Die Menschen
haben uns den Rücken gekehrt, das Glück hat uns verlassen, diese Welt hat sich von uns
losgesagt. Allein unser Auftrag hat uns noch nicht verlassen, noch schützt uns das, was
wir lernen, und das Handwerk, dem wir dienen. Die Kunst schützt uns vor
Gleichgültigkeit, der Mensch aber lebt, solange er nicht gleichgültig ist.
Dieser Kunst hat sich der Schriftsteller, 1953 in Duvno
geboren, Studium in Sarajevo und Promotion in Zagreb mit einer Arbeit über den
Schriftsteller Miroslav Krlea, mit all seinen Büchern verschrieben. Die meisten von
ihnen hat er nach seiner Flucht aus Sarajevo geschrieben, wo er zuvor als Dekan, Dramaturg
und Redakteur der kunsttheoretischen Zeitschrift Izraz wirkte. Danach lehrte
er als Gastdozent in Salzburg, zog später als Stadtschreiber nach Graz und lehrt heute
auch wieder Philosophie an der Universität Sarajevo. Im Jahr 2004 erhielt er den
Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung.
Sie sind Südslawe, Moslem, einer vom Balkan. Damit hat
man in Europa gut mit Vorurteilen zu tun. Sie auch?
Wieso wird der Balkan im Westen auf die Bedeutung reduziert, die ein Berliner Kongress
1878 formuliert hat? Der Balkan als Inbegriff von Instabilität und politischer Konfusion.
Deutungseliten sagen eben, was etwas ist.
Und alle Intellektuellen und Journalisten akzeptieren brav die Entscheidung der
Eliten. Auch die Kriege auf dem Balkan sind vorab geschrieben worden.
Von wem?
Genosse Tito war der größte Sohn unserer Völker und Völkerschaften. So
wurde er stets bezeichnet. Seit uns Freiheit und Demokratie überfallen haben, hat ein
jedes Volk auf dem Balkan einen Vater der Nation. Tudjman in Kroatien Dobrica Cosic
in Serbien, Alija Izetbegovic in Bosnien ...
Ist das ein wesentlicher Unterschied?
Der Unterschied zwischen einem Vater und einem Sohn in einer patriarchalen
Gesellschaft ist gewaltig. Wir sagen, die Herrschaften haben mit der Geschichte, mit der
Zeit schlechthin, Liebe gemacht, und die Völker wurden geboren. Das ist etwas äußerst
Merkwürdiges, mein Lieber. Das zeugt von unserer Entdemokratisierung. Der Genosse Tito
war immerhin noch ein Mensch. Die zweite Winzigkeit, auf die ich Sie aufmerksam machen
möchte ist, dass diese Herrschaften bis zum Jahre 1966 sehr treue kommunistische
Funktionäre waren. Tudjman war der Lieblingsgeneral von Tito. Dobrica Cosic war ein
Lieblingsbeamter des serbischen Polizeiministers. Als Tito sie entmachtet hatte, sind sie
quasi Dissidenten, Nationalisten und so weiter geworden. Sie haben eben die Kriege auch
geschrieben. Man muß bloß die Texte von ihnen lesen. Man muß Aussagen in Interviews
lesen. Die Kriege auf dem Balkan sind geschrieben worden. Danach wurden sie bloß in der
Wirklichkeit ausgeführt.
Es gibt ja auch hierzulande sehr aufschlussreiche Texte.
Was ist davon zu halten, wenn im Parteiprogramm der FPÖ im Kapitel Christentum -
Fundament Europas zu lesen ist: Die europäische Zivilisation hat ihre
ältesten Wurzeln in der Antike. Aber man will die Herkunftsregion eigentlich nicht
zu Europa rechnen.
Herr Strache ist eben ein erfolgloser Student von
irgendetwas. Und Herr Strache hat sein gutes Recht auf seine Ängste, auf seine
Vorurteile, er hat auch das Recht auf Feindbilder, die es ihm leichter machen, mit eigenen
Komplexen, Niederlagen, Ängsten irgendwie zurecht zu kommen.
Und die Wurzeln in der Antike?
Meine Herrschaften, es tut mir leid, aber Platon war ein Balkaneser. Sokrates auch.
Aristoteles, auf den sie sich stets berufen, seit Thomas von Aquin ihn ihnen erklärt hat,
der war ein Angestellter am balkaneser Hof der Mazedonier. Aber solange in einer
Gesellschaft Strache und seine Gefolgsleute bis 15 Prozent der Stimmen bekommen, ist die
Welt vollkommen in Ordnung. In einer jeden Gesellschaft muss es bis 15 Prozent Menschen
geben, die eigene Probleme irgendwie durch Feindbilder zu artikulieren versuchen.
Das ist also kein Problem?
Es stört mich nicht im geringsten, wenn Herr Strache, ein Lastwagenfahrer, ein
Unteroffizier, ein Kellner nach Vereinfachungen greifen, sich die Welt zu erklären. Aber
wenn die Intellektuellen, wenn die Werteproduzenten, wenn die Leute, die
Wertbegriffe, Wertvorstellungen schaffen, wenn Deutungseliten nach Vereinfachungen
greifen, ist der Teufel los.
Und warum läuft das so? Bequemlichkeit>?
Auch ein Hund kann sehr bequem leben, kennt die juristischen Regeln des Benehmens,
benimmt sich anständig, solange er es tun muss. Und auch er achtet die Wünsche seines
Herrchens.
Die Kultur von Dienstboten?
Die Kultur ist vor allem und mehr als alles eine Ausdehnung des menschlichen Wesens in
der Zeit. Eine Auseinandersetzung des Menschen mit der Vergangenheit, mit der Gegenwart
und mit der Zukunft. Kultur, das heißt glauben, das heißt Erde bearbeiten, das heißt
die Toten begraben. Am wenigsten ist Kultur eine Kunst bequem zu wohnen. Oder bequem
seinem Nächsten aus dem Wege zu gehen.
Vorurteile würden dieser Auffassung von Kultur demnach
widersprechen?
Das Bild von mir in Ihren Augen spricht möglicherweise etwas von mir. Von Ihnen
spricht es aber unbedingt. Was wir von anderen Menschen und anderen Dingen behaupten und
denken, besagt sehr selten etwas von diesen Menschen und diesen Dingen, aber von uns
besagt es immer etwas. Insofern ist es absolut unmöglich, mich vor den Vorurteilen
anderer Menschen zu beschützen. Ehrlich gesagt, ich versuch es auch nicht. Im Gegenteil!
Was bedeutet das praktisch?
Sobald ich merke, dass Ihnen Ihre Vorurteile lieber sind als mögliche Wahrheiten,
lasse ich Sie mit Ihren Vorurteilen weiter leben. Aber wenn es Hoffnung gibt, dass wir uns
doch verstehen, verständigen, versuche ich eben, Ihre Bilder von mir scheinbar
akzeptierend, Sie zu gewinnen, dass sie mit mir sprechen. Als Journalist müssen Sie eine
Leserschaft ansprechen. Als Schriftsteller einen einzelnen Menschen. Meine Aufgabe liegt
darin, daß ich Sie in Ihrer absoluten Einmaligkeit, Unwiederholbarkeit, irgendwie
berühre und anspreche. Verstehen wir uns? Ich hab keine Leserschaft. Ich hab
Gesprächspartner. Und Sie helfen mir durch unsere Unterschiede, mich zu verstehn.
Ich bin sozusagen das Kontrastmittel, durch das etwas
sichtbar wird?
Ganz genau. So funktioniert Drama. Die andere Möglichkeit, die leider im Westen immer
mehr Überhand gewinnt, ist die Huntingtonsche Auffassung vom Kampf der
Kulturen. So ein Schwachsinn. Wissen Sie, an einer Stelle behauptet er, hassen sei
menschlich. Man brauche einen Feind, um die eigene Identität zu artikulieren. Was mich
aber interessieren würde, ist folgendes: Warum braucht er unbedingt einen Feind, damit er
sich von anderen Menschen unterscheiden kann? Ich unterscheide mich auch von meinen
Freunden. Für einen wichtigen Teil der europäischen Philosophie ist Freiheit die Form
unseres Verhältnisses zu Anderen. Wie ich mich zu Ihnen verhalte, ist meine Freiheit. Wie
ich mich zu Gott verhalte, ist meine Freiheit. Wie ich mich zu den Pflanzen und Tieren
verhalte, ist die Form meiner Freiheit. Aber auf jeden Fall ist der Andere immer die
notwendige Voraussetzung für meine Freiheit.
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