Hans Fraeulin

"Leiblichkeit und virtuelle Räume"


Lieber Martin,
für Dein Treffen im September hast Du mir Theatermensch einiges vorgegeben und das erste, womit ich wieder einmal aufräumen muss, ist das lächerliche Getue um die Medien, die nachrangig seien, eigentlich keine Kunst seien, der Film schon gar nicht, Video sowieso nicht und im Internet überhaupt nicht. Im Hamsterrad ist leicht meckern.

Spannen wir den Bogen in Deinem Sinne weiter, was Theater mit Wirklichkeit zu tun haben könnte, muss ich Dich erst mal ans Theater im Bahnhof verweisen, dessen Leute mitten in Österreich eine eigene Republik gründeten, eine Karikatur auf die Republik um sie herum, stundenlang sattsam bekannte hiesige Arschlöcher karikierten, dass mir als langjähriger Ausländer in dieser Republik das Lachen schon von weitem verging.

Als ich mich für fünf Jahre im Interesse unseres Nachwuchses als Hofnarr verdingte, fragte man mich, was das mit meinem Beruf als Regisseur zu tun habe. Ich sagte allen, auch denen, die es nicht wissen wollten, dass ich ab nun Wirklichkeit inszenieren wolle. Die Schauspieler hätten zwar Talent wie die meisten Menschen in der Politik, wüssten aber leider nichts davon und würden höchstens ahnen, dass sie in meiner Inszenierung mitwirken. Zu meiner Überraschung ist Bleibendes entstanden, ein Freizeitpark, 22 renovierte Schulen, ein Kindermuseum und weniger Verkehrsunfälle.

Ich habe mich danach mit Mühe wieder als Theaterfachmann rehabilitieren können, aber inzwischen gelernt, wie man mit den modernen Medien umgeht. Ich habe erst einmal die Gebrauchsanweisungen gelesen. Zurzeit inszeniere ich den wilden Gjoar als Wette mit der Frau Landeshauptmann und hoffe, alle spielen mit. Die Frau LH schlug ein. Ich habe eigentlich nur vor, das Ganze medial zu dokumentieren, ein paar Bilder mit der Digitalkamera, ein paar sinnfällige Szenen zum Download im Netz herzustellen. Christine Werner und Du zeigen mir sinnfällig, wie man sich im weltweiten Netz in Szene setzen kann.

Gott sei Dank habe ich noch keinen gehört, Theater sei die eigentliche Kunst. Das bekam ich alle halbe Stunde zu verstehen, als ich seinerzeit für eine Filmzeitschrift auf einem österreichischen Filmfestival in Wels unterwegs war und sich wie ein Lauffeuer herumsprach, ich käme vom Theater. Gleich anschließend in Solothurn und Saarbrücken auf einem Filmfestival durfte ich wieder normal sein.

Dort ist mir aufgefallen, wie schäbig der Film mit seinen kreativen Kräften, voran den Drehbuchschreiberinnen, aber auch mit den Kameraleuten umgeht, wahrscheinlich auch mit den Gaffers, Best Boys; Key Grips und all diesen Menschen, welche die Großkopferten für ihre Filme brauchen. In Solothurn ist Adolf Muschg, nach Frisch und Dürrenmatt Doyen der schriftstellenden Schweiz als Drehbuchschreiber vor meinen Augen und eigenen Auges in die Pfanne gehauen worden. Man lästerte darüber, dass aus der frankophonen Schweiz und von den Frauen überhaupt nichts kreatives käme, und ich musste mit ansehen, wie sich Anne Cuneo als frankophone Drehbuchschreiberin in letzter Minute ein vergebliches Wort verschaffen konnte.

Letzte Woche war im TV wieder ein atemberaubender Universum-Beitrag zu sehen. Kamera: Jiri Volbracht. Was hätte ich mit Jiri Tschech in Graz und im Waldviertel, wo wir drehen wollten, alles machen können. Jetzt lebt er in Passau als österreichischer Staatsbürger und macht das, was er kann: die schönsten Filme der Welt.

Das Theater ist selbstredend immer in der Krise, der österreichische Film gewerkschaftlich national besoffen, also in der Gosse, aber mit dem Multimedia-Fenster habe ich einen europäischen Projekt-Wettbewerb gewonnen und darf jetzt darüber nicht schimpfen. Keiner verbietet mir das Maul, im Gegenteil. Ich bin quasi aufgerufen aufzuschreien, sollten 70 Mio. Jahre Spiel in die Binsen gehen.

Man könnte unter alles einen Schlussstrich setzen mit dem Vermerk:
Ignoranz - nicht strafbar. Wer wo überall in den diversen Schaltstellen das Sagen hat, macht in der Regel nichts straffälliges. Das ist aber auch schon alles, was man positiv vermerken kann.
Diese Leute mit dem Vermerk aufzuscheuchen, sie lägen mit ihrem Gehabe ihrer Klientel auf der Tasche, sollte ich ihnen wenigstens einmal beiflüstern.

Wie Du siehst, habe ich genug zu tun und keine Gelegenheit, über den Kukuruz ins Weite zu schauen. Es ist bei allem Dafürhalten ziemlich vergeblich und eine bessere Performance wert, sich über die Kunst Gedanken zu machen als ausgerechnet über die Medien. Nur Hinnehmen sollten wir das nicht.

Liebe Grüße,
Dein Hans

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[29~03]