[ShortCuts]


Geheul


Von
Martin Krusche

ShortCut #9

ShortCut #9A
ShortCut #9B
ShortCut #9B1
ShortCut #9C

Es war ein Geschiebe und Gerumpel.
"Endlich eine Tür, in der man nicht hängen bleibt. Aber, Scheiße!, wie kriegt man sie auf?"
"Howl!" rief der bei der Tür
Der in der Mitte und der beim Fenster blickten auf.
Howl war eine beunruhigende Erscheinung. Ein verwüstetes Gesicht mit verwüsteten Haaren. Schlecht gemachte Tätowierungen, die an den Bünden der Ärmel hervorsahen. Ein quellender, massiger Körper, der den Eindruck erweckte, man könne ihn nicht einmal mit einem Hebeleisen aus dem Rollstuhl bekommen. Die Seitenstützen schienen schon in das Fleisch eingewachsen zu sein.
"Oh Mann, Scheiße!, siehst du häßlich aus", sagte Howl, nachdem er sich am Fußende des Bettes dessen an der Tür eingeparkt hatte.
Der wandte sich zu seinen zwei Bettnachbarn, schwenkte den Daumen und meinte: "So einer nennt einen anderen häßlich." Nicht bloß sein Daumen war in weiße Gaze gewickelt. Fast alles, was sonst aus den dünnen Kliniknachthemden an blanker Haut heraussieht, blieb in Verbandsstoff gehüllt, der von Blut, Eiter und Desinfektionsmittel fleckig war.
"Sag nichts", fuhr Howl grinsend fort, "ich weiß genau, wie du unterwegs warst, Süßer. Deine scheiß-knackengen Jeans und die mexikanischen Stiefeletten, du Idiot. Diese taillierte Scheißjacke. Und wenn ich in den Schrank schau, find ich den niedlichen Jet-Helm, so wie dein Kopf aussieht. Du bist ein Trottel, Süßer."
"Ja, Howl. Ich bin eine Sensation, du Freak. Die Mädchen drehen sich nach mir um."
"Rosen auf dein Grab, Süßer. Was ist passiert?"
"Ich hab auf der Geraden abgesattelt. Mann, ich werde das Eisen anzünden. Bei 130 fängt mir immer der Lenker zu pendeln an. Bei 140 beruhigt er sich. Dann, mit einem Schlag, wirft dich die Sau ab. Ich bin einfach auf dem Arsch weitergefahren. Als mir die eine Backe durchgebrannt ist, wollte ich mich auf die andere legen, da hab ich angefangen Räder zu schlagen. Mehr weiß ich nicht."
Howl lachte, brüllte, schlug sich vergnügt auf die toten Oberschenkel. Eine Krankenschwester steckte den Kopf zur Tür herein, weil es auf dem Gang nach einem Notfall geklungen hatte. Der in der Mitte kippte vom Gelächter in Klagen, weil ihm solche Erheiterung noch große Schmerzen verursachte. Der beim Fenster hatte keine Schmerzen, im Augenblick, aber sein Lachen klang als ob er weinen würde.
"Was ist mit dir, Süßer?" fragte Howl den am Fenster, nachdem er sich wieder beruhigt hatte.
"Mich hat einer frontal erwischt."
"Aha. Scheiße, muß weh tun."
"Ja, tut´s auch. Das Cockpit hat mir beim Abheben die Schienbeine zerschlagen. Der Arzt hat sie mir mit einer Pinzette herausgeholt."
"Was bist du gefahren?" fragte Howl.
"Eine Fire Blade."
"Scheiß Joghurtbecher. Von dem kommst du einfach nicht weg, wenn´s knallt." sagte Howl.
"Was weißt denn du?" warf der bei der Tür ein. "Dein letztes Eisen war noch aus dem Zweiten Weltkrieg."
Howl ignorierte den Einwand. "Und du?" fragte er den in der Mitte.
Der starrte zur Decke.
"Den hat ein LKW-Zug erwischt", sagte der bei der Tür. "Von hinten."
"Was? Scheiße! So langsam warst du, Süßer?"
Da ging es wieder los, daß ihnen fast schlecht wurde vor Lachen und daß Howl Tränen vergoß, Rotz in den Bart schnaubte. Aber der in der Mitte starrte weiter zur Decke.
"Der redet nicht viel, was?" meinte Howl.
"Er weint oft in der Nacht", sagte der bei der Tür.
"Was ist los mit ihm?" fragte Howl.
"Er kann einfach nicht glauben, daß er es überlebt hat. Fürchtet sich, daß hier gerade noch sein letzter Film abläuft und dann gestorben wird."
"Schlimmer Zweifel", sagte Howl. "Ist nicht viel los mit euch, Mädels. Wo kann man hier eine rauchen?"
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GEHEUL INNEN

Von
Wolfgang Mizelli

ShortCut #9A

und da sind sie die sprueche und bloed und die bloeden meldungen und nur nicht zugeben muessen, dasz mann verdammt noch einmal sich anscheiszt vor lauter angst vor dem, was ab jetzt sein ganz eigenes leben wird, weil das hat er nicht gelernt: ein kind sein, ein baby! und fuer jeden handgriff bitte sagen und danke! und nicht selbst in die eigene hose koennen und sich anscheiszen von oben bis unten und anschiffen wenn der gummi nicht halten will und auf vier raedern und nicht aufrecht auf zwei beinen und die welt sieht so verdammt anders aus von da unten.
und wackeln die beine, wenn der krampf kommt und musz er wieder alles lernen und jede bewegung schwer wie ein marathonlauf und dann diese traurigen gesichter, die er auch noch troesten soll, weil es ist ja nicht so arg, musz er sagen und es geht schon! aber verdammt! er hat sich den hals gebrochen und nicht diese bernhardineraugen da und er braucht trost und warten sie alle auf seinen trost und wird er ihn wohl geben mueszen und sich bitte sehr und vielmals dafuer entschuldigen, dasz er ueberlebt hat.
[20/98]

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Dreibettzimmer

Von
Andrea Heinisch-Glück

ShortCut #9B

Ein Frauenspitalszimmer. Und liegt eine schon drei Monate. Und eine die erste Nacht. Und gibt es eine dritte auch noch. Die erste wartet und rührt sich nicht, damit nichts passiert in ihrem Leib, was Bewegung gleichkommt und auslöst verfrüht, was seinen Zeitpunkt hat, einzuhalten hat, und dann auf diese Welt kommen wird. Die Schwester bringt ihr die abendliche Leibschüssel ins Bett. Die zweite kann nicht schlafen, wieder und wieder gebärt sie den, der neben ihr nun liegt und schläft seinen ersten Schlaf, sie entlässt, ihr Körper entlässt dieses kleine Kleinstmenschchen mal um mal und ohne Schmerz jetzt. Und eine dritte schaut auf die Decke, die weisz gestrichen über ihr hängt und tiefer hängt. Sie wird heimgehen nach der Nacht und wird nachbehandelt werden müssen mit Medikamenten, die Infektionen vorbeugen. Sie fragt in den Raum hinein: Wie wird's denn heiszen? Und ist dann ein Gespräch in einem Frauenspitalszimmer bald zwischen den dreien, bevor die Nacht kommt und ihre eigenen Wege geht. [22/98]

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Dreibettzimmer

Von
Martin Krusche

ShortCut #9B1

Und die Nacht ist durch. Und die Erste hält still ... an dem Betthaupt sich fest. Der Chromstahl längst warm in den Händen. Die Zweite schläft ruhig. Die Dritte räumt die Nachttischlade aus. Es klappern leise ihre Dinge. Sie wird nicht auf das Frühstück warten. Sie schaut mit mildem Lächeln auf die Zweite, die endlich ruhig und langsam atmet: was eben noch ihr schwerer Leib gewesen ist, das atmet auch - in einem andren Zimmer.
Das Morgenlicht streift schon den Rand der Decke. Die Dritte schaut nicht auf die Erste. Bis diese flüstert: Gehst du schon?
Ja, sagt die Dritte leise. Ich muß hier raus.
Da seufzt die Erste tief. Ich würde auch gern gehn. Sie lächelt. Die sollen machen, was sie wollen. Wenn es dadurch nur schon vorbei wär.
Es kann ja nicht mehr lange dauern, sagt die Dritte. Und lächelt auch.
Ich weiß nicht, sagt die erste. Es tut so weh.
Ja, sagt die Dritte. Ja, ich weiß.
Und ich hab Angst, hört sie die erste sagen. Am liebsten wäre mir, ich müßts nicht kriegen. Und irgendwer würd meinen Mann nach Hause schicken. Ich will ihn jetzt nicht sehn.
Ich weiß schon, was du meinst, sagt noch die Dritte. Und: machs gut. Nimmt ihren Koffer, nimmt ihre Tasche, geht.
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MAL UM MAL UND OHNE SCHMERZ JETZT

Von
Petrag Ganglbauer

ShortCut #9C

(A) "Mein Rücken ist Schlachtfeld. Tatzeit. Aktionsfolie.
Kommunikationsroutine. Die Welt hallt wider , künstlich, verfärbt, schrill, wenn ich telefilotreffoniere. Immer ist mein Schreibtisch voller Faxe, halbleerer Kaffeetassen, ungebrauchter, knallneuer Slips, Kugelschreiber, Kaugummis, Tatoos. Survival of the fittest!
Wenn mein Mickeymouse-Rücken (Dead Woman) allzusehr schmerzt und lauthals schreit, halte ich (beide) Augen geschlossen, um ihn, den krapproten Erkenntnisofen, zum Verstummen zu bringen."

(B) Bei geschlossenen Augen, mein inneres Bilderbuch:
Stimmen. Der Wiesen. Des Himmels. Meer aus Klang. Von Tierpersonen.
Wenn sich meine Augen erst kurz schließen, höre ich "mein Rücken ist Schlachtfeld, Erkenntnisofen!" Wenn sich meine Augen schließen, höre ich auf.
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