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OffCity

Hacking the Future im Nebenerweb

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v@n-Diskurs

 

"Boom boom boom"
(John Lee Hooker)

 

Von
Martin
Krusche

 

Der Hausmeister empfiehlt:
ist ein langer Text ... ganz der Herr Sekretär. Am besten downloaden: offcit.rtf
Polis. Das ist die abgeblätterte Ikone der Gleichen unter Gleichen als freie Bürger, Besitzer des Logos. Ein Minderheitenprogramm. Stadt. Das hieß unlängst vor allem: Kristallisationspunkt eines Bürgertums, das sich wirtschaftlich, politisch und kulturell gegen die alten Bindungen durchsetzen konnte. Heute: allen Subkulturen spottend, sich als Maß der kulturellen Dinge gebärdend. Eben noch: Menschen, die sich in den Ideen "Stadt" und "Bürgertum" vom Pöbel abgrenzten, ethnische Diskurse durchfochten und - in Auflehnung gegen Dynastien - in die Lage kamen, die "Nation" als eine ihrer radikalsten Erfindungen zu realisieren. Das muß wohl - wie auch immer - unserer Kultur eingeschrieben sein.

Stadt. Das ist die Legende von der Wucht, der Pracht, der Konzentration von Mitteln und Möglichkeiten. Es kann kein Zufall sein, soviel bloß als Notiz, daß die extreme Rechte heute folgendes Bild hochhält: Dom, Palais und Stadtmauer. Das meint: Bischof, Fürst und Bürgertum. Kein Platz für den Pöbel - dort, wo Stadt sein soll. Das agrarische und industrielle Gesindel und seine Nachfahren wünscht man sich außerhalb dieses Arrangements.

So hat es auch einer wie ich gelernt, von Dünkeln geduckt: was Literatur, was Malerei, was Musik, was eben Kunst sei. Das hat den Schund immer ausgeschlossen. Entweder oder ... hieß es. Dabei hat nicht Goethe die Literarität der Massen vorangebracht. Das geschah durch Groschenhefte.

Es hat Jahre gedauert, bis zu ahnen war: hier emanzipiert sich nun Gesindel. Hier emanzipiert sich heute kulturell ein Stück Kleinbürgertum ... unter Spott und Abschätzigkeit derer, die ästhetisch schon aufgestiegen sind oder längst dort waren. Dort, wo es inzwischen aufgehört hat, eine Klasse zu sein. Heute, draußen im WebSpace (ich nenne es nicht CyberSpace) sind wir, Gesindel, frei von dieser Abschätzigkeit der alten Eliten und der radikalen Aufsteiger, die sie umschwärmen. Frei von dieser erlesenen "Entweder-Oder-Kennerschaft" derer, denen es dort draußen / drinnen meist noch die Rede verschlägt. Im WebSpace. Und der ist vorläufig auch bloß ein kleines Extrazimmer in unserem Alltag.

Das Entweder-Oder ist auszuschlagen. Es muß heißen: sowohl als auch. Es muß auf das Feuilleton nötigenfalls verzichtet werden, wenn man uns dorthin nicht folgt ... in den Raum / Speicherraum der Netze, die die Extra- und Hinterzimmer, in die Küchen, in die unspektakulären Räume kulturellen Geschehens. In alles, was der Sachwalterschaft schwindender, bürgerlicher Zentrumsrelevanz die Provinz ist.

Ich bin ein Bewohner der Provinz, bin ohne nennenswerte Meriten ein Teil des kulturellen Lebens in diesem Land, das in der Stadt immer noch den idealen Ort vermuten läßt - wo man im Verhältnis von Zentrum und Provinz zueinander wenig Neues zu suchen geneigt ist. Als wäre das nicht bloß Gedankengut. Ein Modell: Zentrum / Provinz. Und daß sich beides zueinander verhalte. Auf eine bestimmte Art.

Ich bin Haumeister der Virtuellen Akademie Nitscha. Ein virtueller Raum, verankert in einer sehr kleinen, ländlichen Gemeinde, die Provinz der Provinz ist, Peripherie eines Subzentrums jenseits von Graz. Graz, das muß wohl nicht groß berichtet werden, halten manche für die viel zu heimliche Literaturhauptstadt Europas. Gut. Aus meiner Sicht zeigt es sich so: wenn dieses Graz nicht der Nabel der Welt ist, dann kann Nitscha auch nicht der Arsch der Welt sein. Das genügt mir vorerst.

Leben und Schreiben kann man da wie dort. Ich lebe und arbeite offCity. Das genügt mir vorerst. Während viele Schreibende die Steiermark verlassen haben, in das "Zentrum Wien" gingen, sich bessere Bedingungen erhoffend, bin ich vor Jahren sogar vom "Zentrum Graz" abgerückt. OffCity. Schweigen als Zwischenstation. Heute verzichte ich darauf, mich als Schriftsteller herauszustellen. Ich verzichte auf diese langweilige Staffage mit den Attributen eines Autors des 19. Jahrhunderts. Ich verzichte auf die Versprechung einer Legitimation aus 2500 Jahren schriftlich dokumentiertem Diskurs, was "wahre Kunst" sei und was nicht. Ich verzichte auf die ermüdenden Klagen der Schreibenden, die seit 150 Jahren gleich klingen. All das konstituiert natürlich keine Art von Avantgarde. Es erleichert bloß.

Hacking the Future heißt für mich: Zugriff auf das zu bekommen, was vor uns liegt. Mit ästhetischen, sozialen und politischen Mitteln. Mit den jeweils wechselnden Prioritäten, dieses oder jenes Mittel bevorzugend. Aus dem Alltag heraus. Weil mir diese aristokratische Attitüde konventioneller Kunstschaffender heute lächerlich erscheint ... diese Pose, sich selbst aus dem Alltag zu suspendieren, nur sich und seinem Werk verpflichtet. Weil mich das nicht interessiert, da ich auch noch anderes zu tun hab, rede ich von Hacking the Future im Nebenerwerb. OffCity.

Denn die Telekommunikation erlaubt uns, neues Kommunikationsverhalten zu entwickeln. Sie generiert dieses Verhalten allerdings nicht. Das alte Denkmodell Zentrum / Peripherie hat ausgedient, erklärt nichts mehr, außer daß es Retrospektiven erklärt, antiquierte Gesten. Das gilt nicht nur für Orte, sondern auch für Personen. "Ich: das Zentrum." "Mein Werk: das Zentrum." Der Rest: Peripherie?

Technologieschübe ersparen uns kaum etwas. Sie erledigen nichts für uns. Auch das Telefon wurde einst als "intelligente Technologie" betrachtet. Da fragte der Autor Walter Klier: "Wenn nun zwei Deppen miteinander telefoniert haben - was war das dann?" Online zu sein erledigt also nichts für uns.

Online - das ist für mich nur eine Paraphrase auf live dabei. Und live dabei heißt in meinem Milieu etwas großspurig: die Action ist da, wo ich bin. Sowas läßt ahnen: live dabei, das ist eine Konstruktion. Inszenierung. Die online-Existenz schielt auf das Ideal der Dorfgemeinschaft, entwirft Stadtmetaphern und konstruiert im WebSpace ein Pseudo-Wir, das so vage und egoistisch bleibt, wie die Idee von der Volksgemeinschaft; unter Verzicht auf reale Begegnung. Wir haben alle Gründe, solche Konstruktionen wachsam zu prüfen.

Sowas läßt ahnen: die Egomanennummer ist ein Witz. Das Genie ist keine relevante Kategorie im Web. Ich und mein Werk! Wen interessiert das schon? Schriftsteller, die bisher von den Verwertern ihrer Literatur meist über den Tisch gezogen wurden, ihr Copyright für ein Butterbrot verscherbelt haben, Leute, die längst wußten, daß man in Österreich für das Verwerten von Ideen besser bezahlt wird als für das Haben von Ideen, schwitzen nun, daß die sogenannten Neuen Medien ihr Urheberrecht aushöhlen könnten. Wen interessiert das schon?

Ich hab sehr viel über das gelesen, was in Netzen möglich sein soll. Was ich gelesen hab, war bisher allemal aufregender als das, was ich in den Netzen erlebt habe. Es sind demnach immer noch primär die Texte und nicht das Medium, woraus ich die wichtigsten Kicks beziehe. Das ist für Schreibende ja keine schlechte Nachricht. Oder? Die online-Existenz bleibt vorerst utopischer Stoff, Hypertext kann kaum mehr, als Literaturen schon längst konnten.

Ich bin kein Surfer. Wozu? Miese Übertragungsraten und hohe Telefonkosten lassen einem ernsthafte Umtriebe im Web sauer werden; erst recht den Müßiggang. Denn wenns nur ums Vergnügen geht, will ich das Vergnügen schnell ... und satt. Nicht dünn und schleppend.

Ich bin ein Floater. Das hängt nicht bloß am WebSpace. Man kann es an meinem Haus sehen, durch das eine Schneise führt. Sie beginnt bei der Haustür, führt am Küchentisch vorbei, durch einen Vorraum, die Treppe hoch, durch meine Bibliothek in mein Büro, an meinen Computer. Entlang dieser Schneise lagern ständig Papiere, Bücher, Blätter, Zeitschriften, Notizhefte, CDs ...

Was zwischen mir und diesen Elementen geschieht ist gewöhnlich ziemlich offen, manchmal alles andere als zielgerichtet, aber doch in einem Möglichkeitsraum strukturiert, den ich durch die laufende Auswahl, Benutzung und Umwälzung der Einzelteile entwickle.

In diesem wie ein Mobile angelegten Kräftespiel fließt allerhand, ist ein Herumstreunen, auch Suchen, nicht gänzlich organisiert, nicht gänzlich planlos. Fluktuierende Vorhaben, launenhafte Zugriffe ... floaten. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

All das läßt auch ahnen: wir sind der Primärstoff. Es gibt kein Denken ohne den Leib. Platon ist längst revidiert. Descartes Irrtum hat sich herumgesprochen. Die Robotiker sind - neben der Ich-und-mein-Werk-Egomanennummer - der zweite große Witz in dieser Geschichte. Geist auf Maschinen zu übertragen. Ein Download; das Fleisch zu verwerfen ... so grotesk wie aussichtslos. Ein Fall für den Krüppelknüppel.

Das läuft dann so, daß der Exekutor, The Big Bad One, dich anschaut, müde lächelt und sagt: "Dir geht’s wohl zu gut?", worauf er dir mit dem Krüppelknüppel die Kniescheibe raushaut. Die linke oder die rechte. Darfst du dir selbst aussuchen. Dann kannst du zum Beispiel, wenn der Flash abklingt, wenn die Neuronenensembles nicht mehr so heftig feuern, das Knie einmal nach hinten durchbiegen. Wie ein Flamingo. Aber es wird nichts mehr sein, wie es vorher war. Denn: das Fleisch spricht. Es brennt, wenn du es zum Klingen bringst. Das Fleisch hilft denken. Ein Geist-auf-Maschine-Download würde nichts dergleichen tun.

Denken ist schön, wenn man das mag. Doch es wurzelt in brennendem Fleisch. In einer empfindsamen, verletzbaren Leiblichkeit. Der Geist hat keine Emotionen. Aber der Leib hat uns. Brennendes Fleisch. Wetware. Eine Existenz ohne Sekrete und ohne dieses Brennen der Nerven und Emotionen ist ein Witz, ist sozusagen Platon zum Kotzen.

Hacking the Future. Ich gehe online, weil ich Erweiterungen suche.

Es geht um EDV-gestützte Vernetzung und nicht um vernetzte EDV. Ich bin ein Low-Tech-Netizen. Ich fahre manche Anwendungen noch unter MS-DOS und kenn mich auf der Kommandoebene aus. Das ist natürlich genauso zickig, als würde man einen alten Ford Cortina jedem zeitgemäßen Japaner vorziehen. Dünkelhaftigkeit.

Hier ist nichts elegant. Hier sagt niemand: Avantgarde. Wir Low-Techs haben andere Sorgen. Das wars, Leute. Stay tuned! [11/98]

 

24/10/97. Martin Krusches Virtual Trash
... für das Symposium "Inter City Text",
steirischer herbst, Graz

 

Punkt

 

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