(Anläßlich der Verleihung des "Goldenen
Buches"
an Gerhard Haderer und Leo Lukas für 30.000 verkaufte Exemplare
vom "Jörgi", durch den Verband des Österr. Buchhandels)
Hochgeschätzte Leserinnen und Leser,
verehrte Würdenträgerinnen und Würdenträger!
In einem Dorf am Rand des Hinterwaldes lebte ein kleiner Junge namens Leo.
Der hatte einen Vogel.
Er wollte nämlich Schriftsteller sein.
Wie Wolfgang Borchert oder Franz Kafka, wie Georg Trakl oder Jaroslav Haschek,
nur vielleicht ein bißchen länger leben, und mit ein bißchen mehr Anerkennung schon vor
seinem Tod.
Mit 18 kam er in eine Lungenheilanstalt was sein literarisches Sendungsbewußtsein
durchaus verstärkte und schließlich in die große Stadt Graz, die zu jener Zeit
Weltmetropole der Dichtkunst genannt wurde. Dort wohnte er zahlreichen Veranstaltungen
bei, in deren Rahmen prominente promovierte Germanisten prominenten promovierten
Germanisten prononciert germanistisch produzierte Texte vorlasen. Die waren zwar wenig
verständlich, aber hochgradig dazu geeignet, daß sich anhand ihrer andere, noch nicht
prominente, erst noch zu promovierende Germanisten in germanistischen Proseminaren unter
der professoralen Protektion besonders prominenter promovierter Germanisten einmal pro
Woche profilieren konnten.
Ich wurde dann doch lieber Zeitungsreporter.
*
Allerdings wollte, zu meinem großen Erstaunen, die "Kleine Zeitung" nicht
alles abdrucken, was ich geschrieben hatte, beziehungsweise nur unter beträchtlichen
Modifikationen in Aussage und Wortwahl. Besonders bei Themen wie Bundesheer und
Zivildienst, Atomkraft und Solarenergie, in Fragen des Katholischen Glaubens sowie der
Behandlung von Beschäftigten gewisser Firmen, die sehr oft sehr farbige Inserate
schalteten, traten gelegentlich, nun ja, Auffassungsunterschiede zwischen mir und dem
Herausgeber zutage.
Ich bin ihm gleichwohl zu großem Dank verpflichtet, weil er meine Hinwendung zum Kabarett
entscheidend förderte.
*
In jenen Jahren den, soviel ich weiß, noch beinamenlosen Achtzigern und
Neunzigern geschah im deutschen Sprachraum etwas höchst Seltsames, in dieser Weise
nie Dagewesenes.
Eine Gattung, oder Sparte, oder furchtbares Wort Disziplin, die
ursprünglich als kleine, schmuddelige, minderbemittelte Halbschwester des Theaters
angesehen wurde, jedenfalls aber zur Unterhaltungskunst gezählt im Gegensatz zur
hohen, "ernsthaften" , entwickelte sich völlig autark, ohne jegliche
staatliche oder privatwirtschaftliche Förderung, bar jeden politischen oder
kunsttheoretischen Überbaus, zu beachtlicher, ja erstaunlicher Größe. Daß die
Rezeption von Seiten der Kulturkritik damit bis heute nicht Schritt halten konnte, ändert
daran nicht das Geringste.
Es wurden ganz einfach immer mehr Zuschauer, immer mehr Kabarettbühnen, immer mehr
Kabarettisten. Ob Sie es glauben oder nicht, es gab Jahre, da verkauften die
österreichischen Kleinkünstler zusammengenommen mehr Eintrittskarten als die Vereine der
höchsten hiesigen Fußball-Liga!
Und würden Kabarettprogramme in die Liste der meistgespielten Theaterstücke aufgenommen,
wären vermutlich, mit wenigen Ausnahmen, die ersten zehn Plätze von ihnen besetzt [...]
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