Klaus Zeyringer &
Walter GrondZeyringer:
Über Thomas Bernhard wurde oft behauptet, daß viel stärker als bei anderen
die Wirkung ein Teil seines Werkes sei. Somit scheint es mir von besonderem
Interesse, in welchem Zusammenhang diese Rezeption mit politisch-gesellschaftlichen
Phänomenen, Diskursstrategien und Kanonmechanismen steht. Schematisch gesehen: Bernhard
fungiert als Hoher Priester in einem Diskurs der Lobpreisung, von dem Bourdieu gemeint
hat, daß er der Analyse äußerst abträglich sei. Zudem finden sich durch Bernhards
Literatur und ihre Rezeption bestimmte Diskursleisten angespielt und bedient. Seine Texte,
die laut Erich Hackl "eine Form der unlauteren Verächtlichmachung
perfektioniert" haben, vermögen etwa eine Schimpftirade der Herabwürdigung
salonfähig zu machen.
Grond:
Ich erinnere mich, daß in der Zeit kurz vor Bernhards Tod unter Autoren viel gerätselt
wurde, ob durch die Bernhardsche Strategie der Ästhetisierung von Politik denn so etwas
wie eine politische Ästhetik in Österreich überhaupt noch möglich sei.
Zeyringer:
Was ist denn gemeint, wenn von "Ästhetisierung von Politik durch Bernhard" die
Rede ist?
Grond:
Bernhard selbst hat ja ständig darauf hingewiesen, daß das, was er tut, einen Kunstraum
schafft. Zu diesem Gesamtkunstwerk gehörten die Texte genauso wie die Auftritte als
Kunstperson, und letztlich auch das exzessive Mitinszenieren seiner Wirkung, das
geschickte Einfädeln von Skandalen. Die Figur des Übertreibungskünstlers, der in einer
Mischung aus Selbstgeißelung und Geißelung der Anderen alle Realität zur Kunstrealität
erklärt, führt ja jede pragmatische, realpolitische Weltsicht ad absurdum. Wer nach
Bernhard noch kritisiert, tut dies, um ästhetisch zu sein. Man sagt grausliche Dinge,
weil das schön ist.
Zeyringer:
Zudem hat Erich Hackl kürzlich in der Zeitschrift "Literatur und Kritik"
gemeint, daß Bernhard der österreichischen Gesellschaft "für alle Ewigkeit eine
naturgegebene, also geschichtslose Identität" zugeschrieben habe: Er beklage hier
politisch-gesellschaftliche Situationen, biete aber keine Veränderung dieser Identität
an bzw. bedeute, daß sich diese Identität nicht verändern werde. Also: Die
Österreicher sind zu einem sehr großen Teil a) Faschisten, b) Nazis, c) Katholiken, d)
Sozialdemokraten, und alles ist gleich furchtbar.
Grond:
Zum einen hat man ja in den achtziger Jahren Bernhard zurecht vorgeworfen, daß durch sein
ontologisches Gerede des "Naturgemäß" ein politisches Subjekt in seiner
Konzeption von Welt verunmöglicht ist; wenn alle "naturgemäß" Faschisten und
nationalsozialistische Katholiken sind, ist es in Wirklichkeit auch niemand mehr, weil
keine Täter und keine Opfer mehr festmachbar sind. Zum anderen arbeitet Bernhard mit
Figuren, die über ihr Stammtisch-Bewußtsein nicht hinauskommen wollen, und scheint das
auch zu genießen. Bernhard hat mit Stolz darauf hingewiesen, daß er seine Geschichten
aus der "Kronenzeitung" beziehe. Auch fand er seine Seitenhiebe gegen Musil und
dessen angebliche Verbildetheit sehr chic. Im Grund haben die Bernhardschen Provokationen
das durchschnittliche Stammtischniveau nie überschritten.
Zeyringer:
Vor einigen Jahren hat Michael Scharang behauptet, daß Leser, die in der Literatur zu
Bernhard fliehen, in der Politik ihr Heil in autoritären Tendenzen suchen. Diesen Satz
findet Erich Hackl "bedenkenswert", selbst wenn er nicht richtig sei. Es gebe
nämlich tatsächlich "ein Beziehungsgeflecht, das Bernhard und Haider
einschließt". Der Diskurs der Sakralisierung mag eben auch dazu führen, daß hinter
diesen Lobpreisungen autoritäre Strukturen verdeckt werden. Durch eine Demagogie der
Simplifizierung entsteht zudem eine Nähe des Kritikers zum Kritisierten.
Die Literatur von Bernhard und seine Sprechweise sind von
unzähligen "Nachfolgern" geradezu als Patent weitergeführt worden, so daß
sich damit nicht zuletzt ein bipolares Denken gefördert fand: Dabei erscheint als
folgerichtige Antwort auf eine Sache sofort deren vorgebliches Gegenteil. Diese Redeweise
trägt möglicherweise auch dazu bei, daß in der jetzigen politischen Situation
"Widerstand" als Automatismus oder als Fassade auftreten kann. Als Reaktion auf
das "eine" Österreich wird schnell ein "anderes" behauptet.
Grond:
Jede radikale Rede hat dieses Problem. Sie will und kann keine Distanz zu ihrem Gegenstand
und schon gar nicht zu ihrem eigenen Tun haben. Die Inszenierung der Person wird so sehr
ins Werk hineingezogen, daß am Ende gar nicht mehr wichtig ist, was gesagt wird, sondern
welche Regung uns der Dichter, der Weltenseismograph, gerade meldet. Was da verbreitet
wird, sind solipsistische Privatmythen. All die radikalen Dichter, die Gott und die Welt
in Frage stellen, nie aber sich selbst! Ihre Kunst ist unangreifbar, so wie sie sich
selbst unangreifbar zu Leidenskörpern hochstilisieren. Der bernhardeske Künstler
schließt die Vernunft aus seiner Konzeption weitgehend aus. Künstler behaupten sich als
sensorische Körper und werfen sich selbst in die Schlacht, um der Realität den Garaus zu
machen. [...]
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