Beitrag #2
Sixth Annual Conference on Austrian Literature and Culture

"Über Bernhard und die Mythen der Intellektuellen"
Von Walter Grond und Klaus Zeyringer


klaus.jpg (12622 Byte) walter.jpg (11407 Byte) Klaus Zeyringer & Walter Grond

Zeyringer:
Über Thomas Bernhard wurde oft behauptet, daß – viel stärker als bei anderen – die Wirkung ein Teil seines Werkes sei. Somit scheint es mir von besonderem Interesse, in welchem Zusammenhang diese Rezeption mit politisch-gesellschaftlichen Phänomenen, Diskursstrategien und Kanonmechanismen steht. Schematisch gesehen: Bernhard fungiert als Hoher Priester in einem Diskurs der Lobpreisung, von dem Bourdieu gemeint hat, daß er der Analyse äußerst abträglich sei. Zudem finden sich durch Bernhards Literatur und ihre Rezeption bestimmte Diskursleisten angespielt und bedient. Seine Texte, die laut Erich Hackl "eine Form der unlauteren Verächtlichmachung perfektioniert" haben, vermögen etwa eine Schimpftirade der Herabwürdigung salonfähig zu machen.

Grond:
Ich erinnere mich, daß in der Zeit kurz vor Bernhards Tod unter Autoren viel gerätselt wurde, ob durch die Bernhardsche Strategie der Ästhetisierung von Politik denn so etwas wie eine politische Ästhetik in Österreich überhaupt noch möglich sei.

Zeyringer:
Was ist denn gemeint, wenn von "Ästhetisierung von Politik durch Bernhard" die Rede ist?

Grond:
Bernhard selbst hat ja ständig darauf hingewiesen, daß das, was er tut, einen Kunstraum schafft. Zu diesem Gesamtkunstwerk gehörten die Texte genauso wie die Auftritte als Kunstperson, und letztlich auch das exzessive Mitinszenieren seiner Wirkung, das geschickte Einfädeln von Skandalen. Die Figur des Übertreibungskünstlers, der in einer Mischung aus Selbstgeißelung und Geißelung der Anderen alle Realität zur Kunstrealität erklärt, führt ja jede pragmatische, realpolitische Weltsicht ad absurdum. Wer nach Bernhard noch kritisiert, tut dies, um ästhetisch zu sein. Man sagt grausliche Dinge, weil das schön ist.

Zeyringer:
Zudem hat Erich Hackl kürzlich in der Zeitschrift "Literatur und Kritik" gemeint, daß Bernhard der österreichischen Gesellschaft "für alle Ewigkeit eine naturgegebene, also geschichtslose Identität" zugeschrieben habe: Er beklage hier politisch-gesellschaftliche Situationen, biete aber keine Veränderung dieser Identität an bzw. bedeute, daß sich diese Identität nicht verändern werde. Also: Die Österreicher sind zu einem sehr großen Teil a) Faschisten, b) Nazis, c) Katholiken, d) Sozialdemokraten, und alles ist gleich furchtbar.

Grond:
Zum einen hat man ja in den achtziger Jahren Bernhard zurecht vorgeworfen, daß durch sein ontologisches Gerede des "Naturgemäß" ein politisches Subjekt in seiner Konzeption von Welt verunmöglicht ist; wenn alle "naturgemäß" Faschisten und nationalsozialistische Katholiken sind, ist es in Wirklichkeit auch niemand mehr, weil keine Täter und keine Opfer mehr festmachbar sind. Zum anderen arbeitet Bernhard mit Figuren, die über ihr Stammtisch-Bewußtsein nicht hinauskommen wollen, und scheint das auch zu genießen. Bernhard hat mit Stolz darauf hingewiesen, daß er seine Geschichten aus der "Kronenzeitung" beziehe. Auch fand er seine Seitenhiebe gegen Musil und dessen angebliche Verbildetheit sehr chic. Im Grund haben die Bernhardschen Provokationen das durchschnittliche Stammtischniveau nie überschritten.

Zeyringer:
Vor einigen Jahren hat Michael Scharang behauptet, daß Leser, die in der Literatur zu Bernhard fliehen, in der Politik ihr Heil in autoritären Tendenzen suchen. Diesen Satz findet Erich Hackl "bedenkenswert", selbst wenn er nicht richtig sei. Es gebe nämlich tatsächlich "ein Beziehungsgeflecht, das Bernhard und Haider einschließt". Der Diskurs der Sakralisierung mag eben auch dazu führen, daß hinter diesen Lobpreisungen autoritäre Strukturen verdeckt werden. Durch eine Demagogie der Simplifizierung entsteht zudem eine Nähe des Kritikers zum Kritisierten.

Die Literatur von Bernhard und seine Sprechweise sind von unzähligen "Nachfolgern" geradezu als Patent weitergeführt worden, so daß sich damit nicht zuletzt ein bipolares Denken gefördert fand: Dabei erscheint als folgerichtige Antwort auf eine Sache sofort deren vorgebliches Gegenteil. Diese Redeweise trägt möglicherweise auch dazu bei, daß in der jetzigen politischen Situation "Widerstand" als Automatismus oder als Fassade auftreten kann. Als Reaktion auf das "eine" Österreich wird schnell ein "anderes" behauptet.

Grond:
Jede radikale Rede hat dieses Problem. Sie will und kann keine Distanz zu ihrem Gegenstand und schon gar nicht zu ihrem eigenen Tun haben. Die Inszenierung der Person wird so sehr ins Werk hineingezogen, daß am Ende gar nicht mehr wichtig ist, was gesagt wird, sondern welche Regung uns der Dichter, der Weltenseismograph, gerade meldet. Was da verbreitet wird, sind solipsistische Privatmythen. All die radikalen Dichter, die Gott und die Welt in Frage stellen, nie aber sich selbst! Ihre Kunst ist unangreifbar, so wie sie sich selbst unangreifbar zu Leidenskörpern hochstilisieren. Der bernhardeske Künstler schließt die Vernunft aus seiner Konzeption weitgehend aus. Künstler behaupten sich als sensorische Körper und werfen sich selbst in die Schlacht, um der Realität den Garaus zu machen.
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