Beitrag #8
Sixth Annual Conference on Austrian Literature and Culture

Zum Textiltheater und zu den politischen T-Shirts
Von Winfried Gindl


Textiltheater

Das Textiltheater stellt verschiedene gesellschaftliche und mediale Bereiche dar, indem es ihre Sprache auf Kleidungsstücken zitiert.
Dadurch, daß die Sätze von Interessierten gleichsam angezogen und getragen werden können, werden sie der Welt, der sie entnommen sind, zurückgegeben. So wird diese, könnte man sagen, durch sich selbst angeregt. Begonnen wird mit der Politik, folgen sollen die Welt des Sports, der Kommunikationsmedien, der Wirtschaft, des Pop, des Films, der politischen Geschichte, der Redewendungen, der Philosophie, der Wissenschaft, der Literatur, der Bildenden Kunst, der Musik, des Militärs, der Arbeit, der Werbung…
Das Textiltheater beschränkt sich natürlich nicht auf die zitierenden Textilien, sondern umfaßt alles, was durch deren Präsenz ausgelöst wird. Es fügt sich in eine Reihe meiner Konzepte, die sich mit Images und der Berechtigung zu deren Produktion beschäftigen. Außerdem bedient es sich des Mittels des Medien- und Kontextwechsels, das die Wahrnehmung von etwas allein dadurch verändert, daß es in einen anderen Rahmen gestellt wird.
Die Herrschaft über den Kontext scheint mir eines der wesentlichen Momente der Herrschaft über Images und Inhalte zu sein. Isolierung bedeutet ein Loslösen vom Diktat der vorgegebenen Bedeutung und eröffnet den Blick auf tieferliegende Inhalte. Auch Analyse macht ja nichts anderes, als zu zerlegen und neu zu interpretieren.
Im Textiltheater werden die Sätze sozusagen in präanalytischer Form dargeboten. Die Interpretation wird der Kultur, der sie entstammen, selbst überlassen. Sie werden als nichts anderes denn als Sprache präsentiert und funktionieren so als Formel, als Verdichtung, als Chiffre, als Ausdruck. Und Sprache kann letztlich, wie Laurence Sterne sinngemäß vom Menschen sagt, dem Sehenden (oder sagt er: Wissenden?) nichts verbergen. Der eine sieht bzw. weiß dies, der andere das. Gerade darauf ist das Textiltheater aufgebaut. Alle zusammen sehen damit viel mehr. Aber niemand hat auf dieses Sehen aller Zugriff. Und trotzdem ist es vorhanden. Das Textiltheater ist ein gruppendynamischer Akt der Zusammen-Schau, gleichsam ein demokratischer Reflexionsprozeß.
Als Schauspiel ist es als konzeptionell-aktionistisches Gesellschaftstheater gedacht, wobei die Sätze ihre Handlungsgrundlage: den Text, die Partitur, bilden und zugleich die ersten Darsteller sind. Als Gesellschaftstheater spielt es sich gleichermaßen in der künstlerischen Fiktion und in der gesellschaftlich-medialen Realität ab. Beide Bereiche sind in Wirklichkeit auch sonst voneinander durchdrungen, aber gleichzeitig per Kategorie voneinander getrennt. Diese Kategorisierung durchbricht das Textiltheater, indem es dezidiert die einzelnen Bereiche in eins setzt (und sich so den tatsächlichen Verhältnissen annähert), sodaß alles, was in ihm geschieht, immer auf verschiedenen Ebenen vollzogen werden kann. Ganz ist dies natürlich nicht möglich - und das zeigt, daß die Kategorisierung durchaus einen guten Sinn hat -, weshalb auf der Ebene der Realität Abstriche gemacht werden müssen: rechtliche und ideologische Grenzen müssen berücksichtigt werden: das was die Realität zur Realität formt und nicht zum Albtraum werden läßt. So werden beispielsweise T-Shirts, auf denen Personen genannt werden und sich durch die Aussage des jeweiligen Satzes in ihrer Ehre beeinträchtigt fühlen könnten, für prinzipiell unverkäuflich erklärt, was aber nur heißt, daß sie nicht einfach per Bestellkarte bestellt werden können, nicht aber, daß nicht etwa politische Parteien die Produktion von T-Shirts mit solchen Sätzen in Auftrag geben könnten, um sie - wenn sie gleichzeitig die Verantwortung für die Verbreitung übernehmen - im Wahlkampf einzusetzen. Außerdem können natürlich keine Sätze verbreitet werden, deren Sprachmuster - auch wenn es da und dort und nur anklingen mag: mit solchen Dingen soll man nicht leichtfertig umgehen - von zerstörerischer Propaganda geprägt sind und deren Verbreitung auch eine solche bedeuten würde, weil die diffizile Methode des Darbietens von Sprache dagegen nicht aufkommt. (Jörg Haiders Beschäftigungspolitik-Satz ist diesbezüglich der schlimmste der Sammlung). Man kann solche Sätze weder verbreiten noch auslassen, wenn man sich nicht der Retusche und der Kollaboration durch Verschweigen schuldig machen will (z.B. der Verfassung gegenüber, die ja dem Wesen nach die positive Utopie der Gesellschaft ist). T-Shirts mit derartigen und ähnlichgearteten Sätzen werden nur in Einzelstücken und zu Demonstrationszwecken erzeugt und müssen im aufklärenden und geschützen Bereich der Ausstellungen und Dokumentationen bleiben: der Hoffnung dienend, Betroffenheit erzeugen und der Bewahrung des Gedächtnisses nachhelfen zu können.
Solche Einschränkungen werden, wie alles, was im Rahmen des Textiltheaters geschieht, zur Quelle seiner weiteren Handlung. Das Textiltheater hat den Anspruch, ein ganz reales Theater zu sein: mit dem Grundansatz des Mitspielens, das ja das ursprüngliche Moment und Motiv des Theaters war und auch heute ist - man denke nur daran, daß bei einem Theaterabend das Publikum mindestens so sorgfältig verkleidet ist wie die Bühnendarsteller, und ihre Rolle, ich würde sagen, eifriger, akribischer, natürlich routinierter und oft mit mehr Begabung inszenieren als diese - , mit dem daran anknüpfenden Ansatz des Verstehens aus dem Spiel heraus und dem alten Vorsatz des Theaters: aufklärend zu wirken, inklusive jener abgegriffenen und einzig hoffnungsvollen Pose, welche die Kunst seit jeher nirgends so beeindruckend einnimmt wie am Theater: Luft reinzulassen in die modrigen Hallen, damit sich der Blick ein wenig klären kann. Weil´s im Theater nicht gar so ernst gemeint ist: eine Haltung, die Humor bedeutet. Und Humor können wir ebenso brauchen wie Frischluft und Klärung. Gerade jetzt. Wo nicht alles anders, aber vieles besser gemacht werden soll.
 

Politische T-Shirts

Mit den „Politischen T-Shirts" ist das Textiltheater gewissermaßen eröffnet und wird auf unbestimmte Zeit nicht mehr geschlossen. Die Sätze sind so ausgewählt, daß sie durch ihre Sprachform die Welt des Politischen und die gesellschaftliche und kulturelle Realität, der diese angehört, in vielfältiger Weise ausdrücken (die Auswahl ist also mehr literarisch als politisch).
Sie spiegeln teils Kämpfe, Skandale, kennzeichnende Ereignisse der jüngeren Vergangenheit wider (die dadurch, daß sie nur schwach anklingen, daß die Zusammenhänge ausgespart bleiben - durch ihre Abwesenheit also - oft eine intensivere Präsenz und zugleich einen größeren Zusammenhang erhalten, als wenn sie durch Genauigkeit beschworen würden) und haben gewissermaßen auch Psychogrammcharakter für die jeweiligen PolitikerInnen, ihre politischen Gruppierungen oder für eine allgemeingesellschaftliche Befindlichkeit. Momente des Farcehaften, des Lapsus, des Unfreiwilligen, der persönlichen Polemik, des Privaten als Offizielles, des Inoffiziellen, des Humors, der Sprach- und Denkfiguren, und nicht zuletzt des Zitierens (denn natürlich zitieren auch PolitikerInnen) - was ja alles im Politischen so sprechend ist - erhalten eine besondere Rolle. Viele der Sätze sind - ich denke, das werden auch andere so empfinden - l´art pour l´art.
Die Politischen T-Shirts werden ab der Zeit des diesjährigen Nationalratswahlkampfs in Umlauf gebracht und sind als ergänzendes Gegenstück zu den gezielten Botschaften der politischen Werbung gedacht.

Sisyphus (Autorenverlag)
Gind--Art: Politische T-Shirts
[41•01] [mail]


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