Verkürzung der Kommunikation
in neuen Medien
(Konstruktivistische Betrachtungen über die Wahrnehmungs- und Bedeutungsgrenzen digitaler
Dialoge)
"The media is the message"...
war der Leitsatz des Fernsehzeitalters. "being digital" postulierte Negroponte
am Beginn der Internet-Ära. "transfer the meaning" wäre dann das längst
fällige, logische gegengewicht zu den sehr technokratischen und mechanisierenden bildern
der vergangenheit. Was ist die problematik?
Die informations- und mediengesellschaft
produziert eine immer größer werdende fülle an informationen die logischerweise auch
immer reduzierter, knapper, abstrahierter formuliert werden, um aufnehmbar zu bleiben.
Damit verbunden ist konsequenterweise ein verlust an einschätzbarkeit der bedeutung eines
beschriebenen tatbestandes in seinem lokalen wie globalen kontext. Ein teilweise
konstruiertes beispiel: Auf der homepage von CNN steht: "Neue regierung in korea -
proteste und unruhen in der bevölkerung"; eine woche später: "Neue regierung
in portugal - proteste und demonstrationen in lissabon"; wieder etwas später:
"regierungswechsel in argentinien - unruhen dauern an"; und schließlich:
"rechtsrutsch in österreich - amtseinsetzung der neuen regierung wird von
vandalenakten überschattet." Neutral betrachtet 4 mal eine nahezu identische
information, doch hat jede davon eine gänzlich andere bedeutung.
Woher kommt dann die uns scheinbar so
klare bedeutung einer solchen nachricht? Wir kostruieren sie. Aus unseren erfahrungen, wie
wir selbst unruhen irgendwo erlebt haben, wie das fernsehn über unruhen anderswo
berichtet etc. Wir ersetzen wahres bedeutungswissen durch persönliche sinnkonstruktionen.
Wir sind immer besser informiert, aber verlieren gleichzeitig die sinnbezüge dazu. Wir
können uns kaum mehr bilder über realistische konsequenzen machen, sondern verfallen
zunehmend der illusion, dass die welt so ist, wie wir sie uns vorstellen und verwenden die
informationsflut dann als beweis unseres weltbildes. Eine zirkularrefernz, ein kausalkreis
also.
Was ist nun die konsequenz beispielsweise
für eine web-site eines unternnehmens? Man wird sich sehr genau überlegen müssen,
welche konstruktionen in den zielgruppen vorherrschen, wo man eigene aufbauen muss und wie
man nicht bloß informiert, sondern klarheit schafft. |
Was in europa primär über den nutzen verkaufbar ist, könnte
anderswo nur über das design oder eine mode oder eine leidenschaft verkaufbar sein.
Da unsere wahrnehmung und unsere
konstruktionen sich gegenseitig massiv beeinflussen, gilt es auch zu beachten, welche
wahrnehmungspräferenzen in den zielgruppen existieren. So sind produktinformationen auf
britischen sites in der regel deutlich textlastiger als deren deutsche oder französichen
pendants, weil die existenz umfangreicher texte auf der insel als maß der sorgfalt und
qualität wahrgenommen wird.
Die begrenztheit digitaler dialoge fällt
bei sachinformationen noch verhältnismäßig wenig ins gewicht, da die
sinn-konstruktionen von sendern und empfängern zumeist auf globalen regeln fußen, einen
fachlichen ursprung haben.
Bei privaten, alltäglichen und vor allem
emotionalen inhalten ergeben sich recht schnell konstruktiv bedingte konflikte, da der
sinn weitgehend über die wortbedeutung verstanden wird. Damit lassen sich differenzierte,
sehr starke ausdrucksformen wie z.b. ironie oder scheinprovokationen kaum transportieren
und verursachen sofort scharfe gegenreaktionen. In einem telefonat erkennt man oft an der
stimmführung, wie etwas gemeint ist, in einem chat, wo nur in fragmenten kommuniziert
wird, kommt ironie zu 99,9% falsch an.
Wir neigen dazu, unsere face-to-face
kommunikation völlig unangepasst zu digitalisieren, weil wir davon ausgehen, das das
gegenüber die gleichen konstruktionen der realität verwendet wie wir und erklären den
rezipienten für inkompetent oder verständnislos oder eventuell auch dumm, wenn wir nicht
richtig verstanden werden.
Damit ist auch leicht erklärbar, warum künstler mit neuen
medien oft nicht sehr viel anfangen können: Die differenziertheit ihrer
realitäts-konstruktionen lässt sich schlecht digitalisieren. Intuitiv sind diese
defizite geübten benutzern komprimierter digitaler kommunikationsformen wie chat, sms und
mail durchaus bekannt, vor allem den jugendlichen. Daher bedient man sich auch immer
häufiger einer hilfskonstruktion, emoticons genannt. Ein kleines symbol (smiley) macht
deutlich, in welcher stimmung jemand postet. Emoticons werden teil der jugendkommunikation
weltweit und damit zu sowas wie einem globalen code für emotionale konstrukte.
Siehe auch:
Input #1
Von Geo Kapeller |