Jürgen Kapeller

"Leiblichkeit und virtuelle Räume"


Verkürzung der Kommunikation
in neuen Medien

(Konstruktivistische Betrachtungen über die Wahrnehmungs- und Bedeutungsgrenzen digitaler Dialoge)

"The media is the message"... war der Leitsatz des Fernsehzeitalters. "being digital" postulierte Negroponte am Beginn der Internet-Ära. "transfer the meaning" wäre dann das längst fällige, logische gegengewicht zu den sehr technokratischen und mechanisierenden bildern der vergangenheit. Was ist die problematik?

Die informations- und mediengesellschaft produziert eine immer größer werdende fülle an informationen die logischerweise auch immer reduzierter, knapper, abstrahierter formuliert werden, um aufnehmbar zu bleiben. Damit verbunden ist konsequenterweise ein verlust an einschätzbarkeit der bedeutung eines beschriebenen tatbestandes in seinem lokalen wie globalen kontext. Ein teilweise konstruiertes beispiel: Auf der homepage von CNN steht: "Neue regierung in korea - proteste und unruhen in der bevölkerung"; eine woche später: "Neue regierung in portugal - proteste und demonstrationen in lissabon"; wieder etwas später: "regierungswechsel in argentinien - unruhen dauern an"; und schließlich: "rechtsrutsch in österreich - amtseinsetzung der neuen regierung wird von vandalenakten überschattet." Neutral betrachtet 4 mal eine nahezu identische information, doch hat jede davon eine gänzlich andere bedeutung.

Woher kommt dann die uns scheinbar so klare bedeutung einer solchen nachricht? Wir kostruieren sie. Aus unseren erfahrungen, wie wir selbst unruhen irgendwo erlebt haben, wie das fernsehn über unruhen anderswo berichtet etc. Wir ersetzen wahres bedeutungswissen durch persönliche sinnkonstruktionen. Wir sind immer besser informiert, aber verlieren gleichzeitig die sinnbezüge dazu. Wir können uns kaum mehr bilder über realistische konsequenzen machen, sondern verfallen zunehmend der illusion, dass die welt so ist, wie wir sie uns vorstellen und verwenden die informationsflut dann als beweis unseres weltbildes. Eine zirkularrefernz, ein kausalkreis also.

Was ist nun die konsequenz beispielsweise für eine web-site eines unternnehmens? Man wird sich sehr genau überlegen müssen, welche konstruktionen in den zielgruppen vorherrschen, wo man eigene aufbauen muss und wie man nicht bloß informiert, sondern klarheit schafft.

Was in europa primär über den nutzen verkaufbar ist, könnte anderswo nur über das design oder eine mode oder eine leidenschaft verkaufbar sein.

Da unsere wahrnehmung und unsere konstruktionen sich gegenseitig massiv beeinflussen, gilt es auch zu beachten, welche wahrnehmungspräferenzen in den zielgruppen existieren. So sind produktinformationen auf britischen sites in der regel deutlich textlastiger als deren deutsche oder französichen pendants, weil die existenz umfangreicher texte auf der insel als maß der sorgfalt und qualität wahrgenommen wird.

Die begrenztheit digitaler dialoge fällt bei sachinformationen noch verhältnismäßig wenig ins gewicht, da die sinn-konstruktionen von sendern und empfängern zumeist auf globalen regeln fußen, einen fachlichen ursprung haben.

Bei privaten, alltäglichen und vor allem emotionalen inhalten ergeben sich recht schnell konstruktiv bedingte konflikte, da der sinn weitgehend über die wortbedeutung verstanden wird. Damit lassen sich differenzierte, sehr starke ausdrucksformen wie z.b. ironie oder scheinprovokationen kaum transportieren und verursachen sofort scharfe gegenreaktionen. In einem telefonat erkennt man oft an der stimmführung, wie etwas gemeint ist, in einem chat, wo nur in fragmenten kommuniziert wird, kommt ironie zu 99,9% falsch an.

Wir neigen dazu, unsere face-to-face kommunikation völlig unangepasst zu digitalisieren, weil wir davon ausgehen, das das gegenüber die gleichen konstruktionen der realität verwendet wie wir und erklären den rezipienten für inkompetent oder verständnislos oder eventuell auch dumm, wenn wir nicht richtig verstanden werden.

Damit ist auch leicht erklärbar, warum künstler mit neuen medien oft nicht sehr viel anfangen können: Die differenziertheit ihrer realitäts-konstruktionen lässt sich schlecht digitalisieren. Intuitiv sind diese defizite geübten benutzern komprimierter digitaler kommunikationsformen wie chat, sms und mail durchaus bekannt, vor allem den jugendlichen. Daher bedient man sich auch immer häufiger einer hilfskonstruktion, emoticons genannt. Ein kleines symbol (smiley) macht deutlich, in welcher stimmung jemand postet. Emoticons werden teil der jugendkommunikation weltweit und damit zu sowas wie einem globalen code für emotionale konstrukte.


Siehe auch:
Input #1
Von Geo Kapeller

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