Navigationsblock

Die Geschichte des @

Du befindest Dich bei einem
Pollanz-Text

Von Wolfgang Pollanz

Einst, als das Universum noch keinen Namen hatte, begab es sich, daß das A und das O in heftiger Liebe zu einander entbrannten. Die Buchstaben waren damals noch frei von ihren Bindungen, waren sich jedoch ganz dunkel ihrer Signifikanz bewußt, obwohl sie durch eine namenlose Welt trieben, die erst langsam begann, die gähnende Leere, die zu Anbeginn gewesen war, zu füllen.

Auch das A und das O wußten von sich selbst und nun auch von einander. Gefunden hatten sie sich während eines Streites mit dem Z, einem Okkupanten, der plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war und vergeblich versucht hatte, das O von seinem angestammten Platz zu verdrängen. Die beiden, die sofort erkannten, daß sie für einander geschaffen waren, galten in jener Zeit als unzertrennlich, ja es hieß sogar, es gäbe nichts außerhalb der beiden, sie seien der Anfang und das Ende, das Alpha und das Omega. Als Produkt dieser ungleichen Beziehung gebar das O einige Zeit später einen Bastard. Dieser war allerdings von einem solch seltsamen Aussehen, daß die beiden Buchstaben und vor allem ihre nächsten Verwandten, das eifersüchtige E, das spitzzüngige I und das träge U, so sehr verwirrt waren, daß sie einfach nicht imstande waren, dem neuen Zeichen einen richtigen Namen zu geben. Sprach man vom @, nannte man es nur "das Ding", "es" oder "das Namenlose". Bald verbreitete sich die Kunde von dem ungestalten Bankert, und böse Spötter unter den Buchstaben nannten es entweder das "Unding" oder "das Unaussprechliche".

Nun geschieht dies alles genau zu jener Zeit, als die Welt sich zu ändern begann. Die Dinge, die zuvor ohne rechte Gestalt und namenlos gewesen waren, fingen an sich zu formen und wurden zu Wörtern. Die Buchstaben, die sich bis dahin einem freizügigen, leichtlebigen Dasein hingegeben hatten, waren nun plötzlich diejenigen, die den Dingen, nachdem sie Kontur bekommen hatten, auch ein Bewußtsein gaben. Sie waren es, die die Welt und alles, was in ihr war, benannten, sie waren es, die Macht hatten über das Nichts. So kam es auch, daß inmitten all der Benennungen und Sprachfindungen die Affäre um das @ bald in Vergessenheit geriet. Mehr noch. Auch das @ selbst geriet in Vergessenheit und fristete fortan unbekannt und ohne jegliche Bedeutung und noch immer namenlos seine unnütze Existenz. Die Buchstaben aber waren so sehr damit beschäftigt, die Welt unter sich aufzuteilen, daß sie nicht einmal bemerkten, daß einer der Ihren so tief in die Bedeutungslosigkeit gesunken war. Der Erfolg machte sie grausam und herzlos, und jedes Zeichen war sich selbst das nächste.

Als besonders ehrgeizig erwies sich das E, das die Geschichte mit dem A und dem O so eifersüchtig beäugt hatte. Es wurde zum erfolgreichsten Buchstaben, dessen Omnipräsenz schon fast ein wenig penetrant ist. Noch dazu verbündete es sich dort, wo es scheinbar auf verlorenem Posten stand, auch noch mit dem I zu einem IE, um in einem Bereich, in dem es eigentlich gar nichts verloren hat, mit dabei zu sein. Das I selbst, das ohnehin schon mächtig genug war, gab auch noch dem H, und dies wohl kaum aus Uneigennutz, die Möglichkeit, sich zu profilieren. Das windige S hingegen, das unter seinesgleichen immer als schlüpfrig und opportunistisch gegolten hatte, landete einen besonderen Coup. Es verdoppelte als erster Buchstabe einfach sich selbst. Eine geniale, wenn auch eigentlich unfaire Idee, der natürlich sofort einige der weniger Kreativen unter den Zeichen folgten. Das forsche, aber einfallslose P tat es dem S sofort nach, und auch dessen Cousin, das weiche B, das allerdings schon immer als sehr lasch gegolten hatte, und es auch in dieser Sache nicht sehr weit brachte. Selbst so erfolgreiche Buchstaben wie das N und das M, die solche Methoden eigentlich gar nicht nötig gehabt hätten, sprangen auf den Verdoppelungszug auf, nur um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Und weil auch Buchstaben nicht vor Versagensängsten gefeit sind, kam es, daß eine ganze Reihe sonst mental völlig gesunder Zeichen sich von dieser Hysterie mitreißen ließ. Das R etwa, oder das F, das sich selbst in einen krankhaften Verdoppelungsstreß brachte und schließlich vor lauter Doppeleffigkeit so neurotisch wurde, daß es in einer SelbsteFFahrungsgruppe landete; das kurzangebundene G, das sich kaum jemals herabließ, mit jemand anderem als sich selbst zu sprechen, und von vielen schon vor dem Verdoppelungsskandal für nicht ganz dicht gehalten wurde; das lethargische L, das sich nur hin und wieder in manchem Zungenschlag aufzubäumen versucht. Das O schließlich versöhnte sich sogar mit seinem Intimfeind, dem Z. Dieses gestand seinem neuen Kompagnon auch noch eine Verdoppelung zu, und so verbündete man sich zum Wort ZOO.

Der letzte Buchstabe nach dem A und dem notorischen E, der sich noch vor der Verabschiedung des Allgemeinen Verdoppelungsgesetzes (Parlamentarischer Dudenausschuß) ungehindert selbst duplizieren konnte, war das T, das sich hin und wieder auch mit seinem Bruder, dem D, in Wörtern herumtreibt, um so unreine Verdoppelungen zu bilden und die strengen Bestimmungen des Allgemeinen Verdoppelungsgesetzes zu hintergehen. Dem D wiederum fehlte jeglicher Ehrgeiz, seine wenigen, ganz seltenen Verdoppelungen mußten ihm von der Dudenkommission regelrecht aufgedrängt werden. Tragisch ist die Geschichte des K. Irgendwie hatte es die Entwicklung verschlafen und viel zu spät zu einer Verdoppelung angesetzt, und der bekannte Ausschuß setzte ihm kurzerhand einen Riegel vor. Das K aber, um einen Ausweg nicht verlegen, versicherte sich einfach der Mithilfe des C, das ebenso durch den Verdoppelungsrost gefallen war. Gemeinsam bildeten sie das mächtige CK, das noch heute als eines der Schreckgespenster durch die Schulbücher geistert. Keine faulen Tricks wie diese allerdings nötig hatte das U. Es war von vorneherein so breit, daß eine Verdoppelung ganz allgemein als unästhetisch empfunden wurde. In seinem Windschatten machte es sich das X gemütlich. Das X, ein ganz und gar geheimnisvoller Buchstabe, dessen wahre Bedeutung meist im Dunklen bleibt, ist ein Meister der Camouflage, von dem behauptet wird, daß er seine schmalbrüstige Erscheinung hinter dem Rücken des breiten U zu verstecken sucht, um so mehr vorzutäuschen als eigentlich in ihm steckt. Und zuletzt sei auch die Geschichte des V nicht verschwiegen. Eigentlich ist das V ein flüchtiger Buchstabe, einer, der einmal da ist, und dann wieder nicht. Trotz seiner unsicheren Konsistenz ist er der einzige Buchstabe der Welt, dem ein ganzer Roman gewidmet ist. Und um wie so viele andere Buchstaben sich zu verdoppeln, mutierte er ganz einfach zum W. Ein, wie der Parlamentarische Verdoppelungsausschuß in einem Kommuniqué ausführte, eigentlich unerlaubter, jedoch letztlich legaler Trick, der dieses unscheinbare Zeichen zu einem der legendären unter 26 Seinesgleichen machte.

So hatte sich am Ende ein jedes Zeichen seine Domäne gesichert. Selbst das Q, ein [zurück]haltendes, scheues Wesen, das sich kaum jemals zeigte, fand Anschluß an die Welt der Typographie, ebenso wie das Y. Dieses ist eigentlich ein Zwillingsbruder des J, das ständig versucht, seinem engsten Verwandten die wenigen den beiden gebliebenen Bindungen streitig zu machen. Längst war in all dem Rummel und den typographischen Verteilungskämpfen an der Benennungsfront das @ in völlige Vergessenheit geraten. Die Zeichen waren so sehr auf sich selbst geworfen, daß auch dem A und dem O schließlich die Erinnerung an den von ihnen gezeugten Bastard abhanden kam.

Nun begann die Welt aber sich ein weiteres Mal zu ändern. Die Schrift, die allzulange die Herrschaft über alles innegehabt hatte, wurde mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt, und an ihre Stelle traten Bilder, Zeichen und Piktogramme. Um die Dinge noch schneller und kürzer benennen zu können, suchte man nach Symbolen und Kürzeln, die die umständlichen und langsamen Schriftzeichen teilweise ersetzen konnten. Man wollte schneller werden, kürzer werden, obwohl eigentlich keiner so recht verstand warum. Da entsann man sich auch des @. Dieses hatte sich in der Zwischenzeit unerkannt auf dem gesamten Erdball herumgetrieben und war weitaus welterfahrener als all die kleinlichen Spötter, die sich einst über sein seltsames Aussehen lustig gemacht hatten. So kam es, daß es nun verwendet wurde, um in der Welt der Netze Orte und Adressen zu bezeichnen. Es wurde schließlich so bekannt, daß es bald keinen Menschen gab, der nicht über ein @ in seiner Anschrift verfügte. Natürlich gab es jetzt auch Neid unter den alteingesessenen Zeichen. Das E, das seines Erfolges wegen engstirnig und zynisch geworden war, versuchte vergeblich, ein Verbot des @ beim Internationalen Typographischen Gerichtshof zu erreichen; das F, vom E aufgestachelt, brachte gar ein Beschwerde wegen ungebühriger Anmaßung eines nicht zugelassenen Zeichens ein. All diese Angriffe wurden jedoch abgeschmettert und das @ in einer Allgemeinen Erklärung der Zeichenrechte feierlich zu einem gleichwertigen Buchstaben erklärt. Während dieser Zeremonie kam es übrigens auch zu jenem denkwürdigen Treffen des einst ungeliebten Bastards mit dem A und dem O, das von der Boulevardpresse gehörig ausgeschlachtet wurde, und das neue Zeichen noch bekannter machte, als es ohnehin schon war.

Mit einer Sache muß das @ allerdings bis heute leben: Obwohl jedermann es kennt und verwendet, weiß keiner, wie es wirklich heißt. Will man es beim Namen nennen, ist immer nur von dem "Ding" oder gar dem "Unaussprechlichen" die Rede, oder man behilft sich mit irgendwelchen seltsamen Namen. Das @ ist, und daran gibt es nichts zu rütteln, namenlos geblieben. Aber möglicherweise wird das nicht mehr lange so sein, denn inzwischen hat sich ein Komitee für Typographical correctness der leidigen Sache angenommen ... [11/98]

Zu den Protagonisten der Geschichte

(c) Wolfgang Pollanz, 1998

 

Literaturhinweise:
Sergio Designo, Dizionario dei simboli, Bologna, 1981
Anthony Letterman, Typographical correctness, Berkeley, 1991
Luc de Libre, Signes, symboles et mythes, Lyon, 1964
Georg Schreiber, Spezielle Buchstabenkunde, Darmstadt, 1977
André Van Zeigen, Teekens en symbolen, Den Haag, 1992

 

Punkt

 

Top | SplashScreen