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ShortCuts |
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(Ein Feature) |
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Von |
In einem Anflug von Raumschiff-Enterprise-Romantik
ließen uns rührende online-Existenzen gelegentlich wissen, Hypertext eröffne
annähernd revolutionäre Möglichkeiten eines neuen Erzählens von Geschichten. Mag sein.
Und es werden sich daraus vermutlich auch neue Formen der Rezeption entfalten. Wer weiß!
(Wir sind doch recht antiquierte Wesen mit mäßiger Gabe zur Voraussicht.) Subkulturen entfalten ihre Eigenheiten. Was davon eine Massenbasis erreichen wird, steht auf einem anderen Blatt. Man muß kein EDV-gestützter new edge-punk sein, um zu wissen, was hypertextuelle Strukturen sind. Es genügt außerdem etwas Belesenheit, um zu wissen, daß experimentelle Literaturen sehr vieles, was uns Hypertext verspricht, längst konnten. Zu Zeiten, da Computer noch unerschwinglich waren oder noch gar nicht existierten. Das Durchbrechen linearer Erzähl- und Sprachweisen, das Kombinieren verschiedener Medien, das Erschaffen von komplexen Erzählräumen, und sei es nur im Kopf der Lesenden, hat ungleich längere Tradition als das Web. Freilich bleiben Differenzen zwischen den Texten der Gutenberggalaxis und jenen der neuen Netze. Differenzen, die zu eliminieren man nicht versuchen muß. Man muß sie auch nicht gegeneinander ausspielen. Was mich betrifft: Unter uns wird vorerst eher konventionell weitererzählt. Allerdings teilweise EDV-gestützt. Ich schätze es erfahrbare Schritte zu machen, die mich nicht in die Abhängigkeit von einem ganzen Team an Spezialisten bringen. Deshalb beschäftigt mich recht wenig, was höchst begabte und hoch bezahlte Leute mit unerschwinglichen high end-equipments zuwege bringen. Der Begriff "Computerkunst" ist dann schon ein Witz. Effekthascherei. Würden Sie auch "Pinselkunst" sagen? "Klavierkunst"? "Hammer und Meißel-Kunst"? Das ist Blödsinn! Mich interessiert vor allem, was wir den Alltagsausrüstungen und der Konfektionssoftware abgewinnen können, um unsere Intentionen zu bedienen ... nicht umgekehrt - meine Kreativitiät zu strapazieren, um high tech-Strukturen zu bedienen. Wo Literatur entstehen soll und rezipiert werden könnte, bin ich ein low tech-freak. Martin Krusche und Schlagzeuger Alex Deutsch bei einer ShortCut-Session auf dem Grazer Jakominiplatz. Eine andere Sache. Ich halte mich für einen leidlich erfahrenen und ganz gut konzentrationsfähigen Leser. Wenn ich mich jedoch schon durch mehrere Links gelesen habe - angestrengt, denn Bildschirme sind kaum zum Lesen gemacht -, wenn ich also den seriellen Pfad ausgeschlagen hab, bin ich recht bald aus der Story rausgeflogen. Ich kann es drehen, wie ich will. Online-Lektüre ist sehr mühsam. Selbst offline, wenn das HTML-Dokument auf meiner Festplatte klebt, bleibt die Angelegenheit spröde. Ich will nicht ausschließen, daß man gelegentlich auf sehr bewegende Hypertextdokumente stößt. Die sind allerdings (im Web) meist in so viel Datenschrott eingebettet, daß sie zu finden einer eigenen Leidenschaft bedarf. Dabei erzählen mir oft noch die müdesten Autoren hölzerner Geschichten, daß ich dank angeblicher Interaktivität des Mediums nun der new edge näherrücken könne. Schmonzes! Als würde die Software auf meine Aktionen reagieren, eingehen. Nein. Es bleibt vorerst bloß mir freigestellt, auf die Software zu reagieren, vorgegebene Schritte nachzugehen. Keine Spur von Interaktivität! Die gibt es schließlich nur, wo Menschen interagieren ... und sei es maschinengestützt. Was uns in der v@n beschäftigte, wirkte nun auch auf meine literarischen Ambitionen: EDV-gestützte Vernetzung statt vernetzter EDV. Ich war schon vorher mit Download-Miniaturen beschäftigt, wozu ich mehrere Leute um Beiträge bat. Ich ging also zuerst daran, die Links zwischen Menschen einzurichten, statt zwischen Texten ... auf einem Datenspeicher. Mit der Option, es könne sich eine große Erzählung entfalten, die zwar in einer hypertextuellen Struktur entsteht, die aber konventionell lesbar bleibt. Einzelne Stationen in kurzen Geschichten, Tönen, Bildern, in Miniaturen, die ohne große Umwege auf den Punkt kommen. Eben Shortcuts - als knappe Fassung eines Erzählbaren, hinter der sich eine größere Fassung verbergen mag. Das ist kein Sprung in eine mögliche Zukunft, von der es heißt, daß Communities in den Netzen entstehen werden und telematische Gemeinschaften bleiben oder sich von dort her auch in real life verzweigen. Die wachsende Runde, die sich gelegentlich als Shortcut-Community verdichtet, hat ihren Ursprung und ein (vorerst) unverzichtbares Fundament in den alten Räumen. Shortcuts haben eine Alpha-Ebene, auf der erste Sequenzen, Miniaturen deponiert sind. Diese Ebene wird aus der aktuellen Runde von uns gespeist. Das geschah in der ersten Phase ausschließlich per Telekommunikation mit manchen Kunstschaffenden, die ich kenne - oder auch nicht. (Meiner ersten Partnerin in diesem Vorhaben, Andrea Heinisch-Glück, bin ich bis heute nicht in real life, begegnet. Ich weiß also nicht einmal, ob diese mir aus e-mails vertraute Identität stichhaltig ist.) Von da ab - der Alpha-Ebene - mag sich das Erzählbare verzweigen, indem die Beteiligten auf diese Alpha-Varianten reagieren. Mit Fortsetzungen, Paraphrasen, Entgegnungen, Variationen ... in Texten, Bildern und Tönen. So kann es sich auch ergeben, daß jemand auf eine Beta-Version reagiert, ohne die Alpha-Version zu kennen etc. Es kann ebenso sein, daß sich Leute direkt vernetzen und Versionen vorlegen, deren Autorenschaft nicht mehr genau nachweisbar ist. Vieles bleibt möglich. Es ist noch offen, ob sich zu dieser Art Shortcuts auch eine Metaebene anbietet, auf der Feedbacks und Diskurse stattfinden mögen. Das wird sich zeigen. Im Juni 97 hatte ich mit dem Schlagzeuger Alex Deutsch die erste Shortcut-IRL-Session mitten auf dem Grazer Jakominiplatz. Ich denke, ich werde diese Art der Sessions außerhalb der Netze weiter betreiben. Wir gehen damit also in traditionelle Räume ebenso wie in EDV-gestützte Räume. Das Motiv ist antiquiert und dauerhaft: Mich interessieren möglichst autonome Bedingungen für das Entstehen von Literatur und für ihre Publikation. Es geht um das Auffinden bzw. um das Schaffen einer qualifizierten Öffentlichkeit, in der Leute wie wir Beiträge zu einem regen geistigen Klima liefern können. Einer Öffentlichkeit, in der Leute möglichst viel an Selbstbestimmung durchsetzen können, die Regeln in hohem Maße selbst verfassen. Inwiefern die Netze dafür geeignet sind, bleibt noch zu klären. EDV-gestützte Netze. Nicht bloß als "Ort" des Entstehens von Texten, sondern auch als "Veranstaltungsort", in denen sich ein Publikum gewinnen läßt - in wachsender Unabhängigkeit von den Städten, die sich bisher als Zentren für solche Möglichkeiten aufgedrängt haben. Was hier greifbar wird, verwischt die Differenzen von City, InterCity und OffCity. Die transliterarische Intention (im Projekt Shortcuts) öffnet das Vorhaben prinzipiell schon veränderten Möglichkeiten des Erzählens und Erfahrens. Aber im Zentrum ist - als Ausgangspunkt - konventioneller Text, der sich anderen medialen Formen zur Verknüpfung anbietet. So wie die Fotografie die Malerei nicht abgelöst hat, wie das Fernsehen letztlich nicht zum Tod des Kinos führte, scheinen neue Medien die alten gelegentlich sogar zu stärken. Was das für die Literatur bedeuten kann, weiß ich noch nicht. Da die Digitalisierung und die Telematik durchaus neues Kommunikationsverhalten anbieten, nicht erst bei der Präsentation, sondern schon auf dem Weg dahin, tritt ein transliterarisches Moment in Erscheinung, das über die ermüdende "Multimedia-Variante" von Jazz und Lyrik mit Farbdias anläßlich einer Vernissage hinausreicht. Daher also kein voreiliger Sprung auf das Holodeck des Raumschiffes Enterprise - eine romantische Phantasie, die wir im Ars Eletronica Center mit unerschwinglichem Hig-End-Equipment schon simuliert finden (Cave.) Dort sehen wir die Simulation einer Simulation (von Virtual Reality); das könnte man auch für einen Witz halten. Ein ziemlich teurer Witz. Ein anderer Witz: Was würde uns hindern, ebenso unser Publikum zu simulieren? Das tun Schreibende in Österreich ohnehin bei Bedarf - gänzlich ohne EDV-Stützung. Diese Übung haben Schreibende in diesem Land längst absolviert, da sie ihre wachsende Marginalisierung hinzunehmen geneigt sind, da sie all dem - generell - kaum mehr als Widerworte entgegenhalten. Sie sind sogar fähig, das Schreiben zu simulieren, wo sie mangels günstiger Absatz- und Publikationsmöglichkeiten auf reale Literaturproduktion verzichten (weil viele dabei emotional die Kurve nicht kriegen, was sich vorzugsweise in Schreibkrisen- und Blockaden ausdrückt). Diesbezüglich also kein Neuland im Traumland Cyberspace. Keine Frohbotschaft! Shortcuts ist ein transliterarisches Projekt - initiiert von der Virtuellen Akademie Nitscha, konzipiert von Martin Krusche Verletzen Sie die Urheberrechte nicht! |
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